Das sündige Viertel
Turbulenz und trug dazu bei, daß sich die Stimmung wieder hob. Und alle paar Minuten rief er schallend: »Kellner! Champaagner!« – obwohl Simeon, der seine Art schon kannte, kaum darauf reagierte.
Es wurde ein echt russisches Getümmel, laut und absurd. Der rosige, flachsblonde Tolpygin mit dem lieben Jungengesicht spielte auf dem Klavier die Seguidilla aus »Carmen«, und Wanka Stehauf tanzte dazu einen Bauerntanz. Die schmalen Schultern hochgezogen, sich verrenkend und die Finger an den herabhängenden Händen spreizend, trat er mit seinen langen, dünnen Beinen geziert auf der Stelle, stieß dann plötzlich einen durchdringenden Juchzer aus, sprang in die Höhe und rief im Takt seines wilden Tanzes:
»Hoppla! Tanz, Matwin,
Laß die Bastschuh glühn!
»Ha, dieser Auftritt ist mehr als einen Viertelhunderter wert!« sagte er anschließend und schüttelte sein langes graues Haar.
»Sie aaahnen die Waaahrheit …«, grölten die beiden Freunde, die nur noch mit Mühe die schweren Lider über ihren trüben Augen heben konnten.
Der Schauspieler erzählte unanständige Witze, die er nur so aus dem Ärmel schüttelte, und die Frauen kreischten vor Begeisterung, krümmten sich vor Lachen und warfen sich gegen die Stuhllehnen. Weltmann, der lange mit Pascha geflüstert hatte, schlüpfte im allgemeinen Lärm unbemerkt aus dem Zimmer, und ein paar Minuten nach ihm ging auch Pascha, still, irr und verschämt lächelnd.
Aber auch alle übrigen Studenten, mit Ausnahme von Lichonin, verließen nacheinander – manche heimlich, manche unter einem Vorwand – den Raum und blieben lange weg. Wolodja Pawlow wollte beim Tanzen zusehen, Tolpygin bekam Kopfschmerzen und bat Tamara, ihm zu zeigen, wo er sich frisch machen könne, Petrowski, nachdem er sich heimlich von Lichonin drei Rubel hatte geben lassen, ging hinaus auf den Korridor und ließ von dort aus durch die Verwalterin Sossja die Blonde Manka holen. Sogar der vernünftige, wählerische Ramses konnte dem Reiz nicht widerstehen, den Shenjas heutige seltsam grelle und kränkliche Schönheit auf ihn ausübte. Auf einmal hatte er an diesem Morgen etwas Wichtiges, Unaufschiebbares vor und mußte nach Hause, um wenigstens noch zwei Stündchen zu schlafen. Doch nachdem er sich von seinen Freunden verabschiedet hatte, gab er Shenja, ehe er hinausging, schnell und bedeutsam einen Wink mit den Augen Richtung Tür. Sie verstand, ließ zum Zeichen ihres Einverständnisses langsam und kaum merklich die Wimpern sinken, und als sie wieder aufblickte, war Platonow, der dieses stumme Gespräch, fast ohne hinzusehen, bemerkt hatte, bestürzt über den Ausdruck von Zorn und Drohung, den ihre Augen Ramses nachsandten. Sie wartete fünf Minuten, dann erhob sie sich, sagte: »Entschuldigen Sie mich einen Moment« und ging hinaus, mit ihrem kurzen orangefarbenen Rock wippend.
»Na, Lichonin? Jetzt bist du wohl an der Reihe?« fragte der Journalist spöttisch.
»Irrtum, Bruderherz!« sagte Lichonin und schnalzte mit der Zunge. »Nicht etwa, daß ich aus Überzeugung oder Prinzip … Nein! Ich als Anarchist bin der Meinung: je schlimmer, desto besser … Doch zum Glück bin ich Spieler und verausgabe mein ganzes Temperament beim Spiel, deshalb ist bei mir der Widerwillen weitaus stärker als das bewußte überirdische Gefühl. Aber es ist erstaunlich, wie unsere Gedanken übereinstimmen. Ich wollte dich soeben das gleiche fragen.«
»Ich – nein. Manchmal, wenn ich sehr müde bin, übernachte ich hier. Dann lasse ich mir von Issai Sawwitsch den Schlüssel für sein Zimmer geben und schlafe auf dem Sofa. Aber die Mädchen sind alle schon längst daran gewöhnt, daß ich ein Wesen des dritten Geschlechts bin.«
»Tatsächlich … niemals?«
»Niemals.«
»Was wahr ist, ist wahr!« rief Njura aus. »Sergej Iwanytsch lebt wie ein frommer Einsiedler.«
»Früher, vor fünf Jahren etwa, habe ich auch das probiert«, fuhr Platonow fort. »Aber, wissen Sie, es ist wirklich zu trist und widerlich. So wie bei den Fliegen, die unser Herr Schauspieler vorhin imitiert hat. Sie kleben auf dem Fensterbrett eine Sekunde aufeinander, und dann kratzen sie sich in einer Art törichten Erstaunens mit den Hinterbeinen den Rücken und fliegen für immer auseinander. Und hier ein festes Liebesverhältnis anfangen? Dazu bin ich nicht der Richtige. Ich bin häßlich, gegenüber Frauen schüchtern, gehemmt und höflich. Hier aber dürstet man nach wilden Leidenschaften, blutiger Eifersucht, Tränen, Gift,
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