Das sündige Viertel
Schlägereien, Opfern – kurzum, nach hysterischer Romantik. Und das ist ja verständlich. Das Herz einer Frau wünscht sich immer Liebe, und von Liebe wird ihnen tagtäglich gesprochen, mit den verschiedensten langweiligen, schleimigen Worten. Unwillkürlich verlangt es sie nach mehr Würze in der Liebe. Sie wollen schon nicht mehr Worte von Leidenschaft, sondern tragisch-leidenschaftliche Taten. Und deshalb sind ihre Liebhaber immer Diebe, Totschläger, Zuhälter und anderes Gesocks. – Aber die Hauptsache ist«, fuhr Platonow fort, »ich würde mir damit sofort alle freundschaftlichen Beziehungen verderben, die sich so wunderbar eingespielt haben.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« widersprach Lichonin mißtrauisch. »Was treibt dich denn, hier ganze Tage und Nächte zu verbringen? Wärst du Schriftsteller – das wäre eine andere Sache. Dann fiele die Erklärung leicht: Du suchst Typen oder, wie soll ich sagen … beobachtest das Leben … Wie dieser deutsche Professor, der drei Jahre unter Affen gelebt hat, um ihre Sprache und ihr Verhalten zu studieren. Aber du hast doch selbst gesagt, daß du keine schriftstellerischen Ambitionen hegst?«
»Es geht nicht um Ambitionen, sondern ich bin dazu einfach nicht imstande, ich kann es nicht.«
»Na gut. Jetzt setzen wir mal den Fall, du kämest hierher als Prophet eines besseren, ehrbaren Lebens, gewissermaßen als Seelenretter. Weißt du, so wie zu Beginn des Christentums manche heiligen Väter, statt dreißig Jahre am Pranger zu stehen oder in einer Höhle im Wald zu hausen, auf die Märkte und in die Freudenhäuser gegangen sind, zu den Dirnen und Gauklern. Aber so ist es doch bei dir auch nicht?«
»Aber nein.«
»Warum dann, zum Teufel, drückst du dich hier rum? Ich sehe doch ganz klar, daß vieles für dich selber widerlich und schwer und schmerzhaft ist. Zum Beispiel dieser idiotische Streit mit Boris oder dieser Lakai, der die Frau geschlagen hat, und überhaupt das ständige Mitansehenmüssen von allem möglichen Schmutzigen, Geilen, Viehischen, Gemeinen, Versoffenen. Also gut, wenn du es sagst, dann glaube ich dir, daß du nicht der Ausschweifung frönst. Aber dadurch wird für mich dein Modus vivendi, um es mal im Leitartikelstil auszudrücken, noch weniger verständlich.«
Der Reporter antwortete nicht sogleich.
»Sieh mal«, begann er dann langsam, mit Pausen, gleichsam zum erstenmal seinen Gedanken nachspürend und sie genau abwägend. »Sieh mal, was mich an diesem Leben interessiert und anzieht, das ist … wie soll ich sagen? … seine furchtbare, nackte Wahrheit. Verstehst du, sie ist hier sozusagen aller konventionellen Hüllen beraubt. Es gibt weder Lüge noch Heuchelei noch Bigotterie, es gibt keine Zugeständnisse an die öffentliche Meinung, auch nicht an die aufdringliche Autorität der Vorfahren oder an das eigene Gewissen. Keinerlei Illusionen, keinerlei Bemäntelung! Hier bin ich, wie ich bin! Eine Frau aus dem Bordell, ein Gefäß für die Gesellschaft, eine Kloake, um den Überschuß an Lüsternheit in der Stadt abfließen zu lassen. Wer möchte, kann zu mir kommen – keiner wird abgewiesen, darin besteht meine Arbeit. Aber für eine Sekunde Wollust zwischen Tür und Angel bezahlst du mit Geld, mit Ekel, mit Krankheit vielleicht und mit Schande. Das ist alles. Es gibt keine andere Seite des menschlichen Lebens, wo die eigentliche Wahrheit so ungeheuerlich und scheußlich und grell bloßliegt, ohne den geringsten Schatten von menschlicher Lüge und Selbstbeschönigung.«
»Na hör mal! Diese Frauen lügen, sowie sie nur den Mund auftun. Versuche einmal, mit einer darüber zu sprechen, wie sie ihre Unschuld verlor. Die erzählt dir sonstwas.«
»Dann frag nicht. Was geht es dich an. Außerdem, wenn sie auch lügen, so lügen sie doch ganz wie Kinder. Und du weißt selbst, daß Kinder die besten und allerliebsten Lügenmäuler sind und gleichzeitig das aufrichtigste Völkchen der Welt. Und es ist bemerkenswert, daß sowohl die einen als auch die anderen, das heißt Prostituierte und Kinder, nur uns Männer belügen und die Erwachsenen. Unter sich lügen sie nicht – sie improvisieren nur mit Begeisterung. Uns jedoch belügen sie deshalb, weil wir selbst es von ihnen verlangen, weil wir mit unserer blöden Manier und mit Verhören in ihr uns gänzlich fremdes Seelenleben eindringen, und schließlich, weil sie uns für große Dummköpfe und stumpfsinnige Heuchler halten. Wenn du willst, zähle ich dir auf der Stelle alle
Weitere Kostenlose Bücher