Das sündige Viertel
selbst auf der Universität war und nun beim Anblick der Studenten eine stille väterliche Rührung nicht verbergen kann.
»Glauben Sie mir, meine Herren, es tut gut, sich im Kreise der Jugend von den Widrigkeiten des Lebens zu erholen«, sagte er, und sein derbes, lasterhaftes Gesicht nahm einen schauspielerisch übertriebenen und unglaubwürdigen Ausdruck von Ergriffenheit an. »Dieser Glaube an ein heiliges Ideal, diese ehrlichen Gefühle! Was kann hehrer und reiner sein als unsere russische Studentenschaft? … Kellner, Champagner!« schrie er plötzlich ohrenbetäubend und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Lichonin und Jartschenko wollten ihm nichts schuldig bleiben. Ein Trinkgelage begann. Bald waren auch – weiß der Himmel, wie – der Sänger Mischka und der Buchhalter Kolka ins Zimmer eingedrungen, und sie fingen gleich an, mit ihren hüpfenden Stimmen zu singen:
»Sie aaahnen die Waaahrheit.
Morgenrooot, steig bald am Himmel auf!«
Auch Wanka Stehauf war erwacht und erschien auf der Bildfläche. Den Kopf freundlich zur Seite geneigt und in seinem faltigen alten Don-Quichote-Gesicht schmale, weinerlich-süßliche Äuglein machend, sprach er inständig bittend: »Ihr Herren Studenten … wollt ihr nicht einem alten Mann einen ausgeben? Mein Gott, wie ich die Bildung schätze! Mit Verlaub!«
Lichonin waren alle willkommen, doch Jartschenko zog anfangs – solange der Champagner ihm noch nicht zu Kopf gestiegen war – nur mit ängstlicher, erstaunter und naiver Miene seine kurzen schwarzen Brauen empor. Im Zimmer war es auf einmal eng, verqualmt, lärmig und schwül geworden.
Simeon verriegelte von außen polternd die Fensterläden. Herein kamen Frauen, die sich gerade von einem Besucher frei gemacht hatten oder eine kurze Tanzpause einlegten, sie kamen, saßen ein Weilchen auf jemandes Schoß, rauchten, trällerten vor sich hin, tranken Wein, ließen sich küssen und gingen wieder, um später abermals hereinzukommen. Die Kommis von Kereschkowski, gekränkt darüber, daß die Mädchen dem Chambre séparée mehr Aufmerksamkeit widmeten als dem Saal, wollten schon einen Skandal vom Zaune brechen und mit den Studenten Händel suchen, doch Simeon brachte sie augenblicks mit zwei, drei Machtworten, wie nebenbei gesprochen, zur Räson.
Njura kehrte aus ihrem Zimmer zurück, und kurz nach ihr kam Petrowski. Er verkündete mit äußerst ernsthafter Miene, er sei die ganze Zeit auf der Straße umhergelaufen und habe über den Vorfall von vorhin nachgedacht, und letztendlich sei er zu dem Schluß gekommen, sein Freund Boris sei tatsächlich im Unrecht, doch es gebe einen mildernden Umstand – seine Trunkenheit. Später kam auch Shenja, aber allein: Sobaschnikow war in ihrem Zimmer eingeschlafen.
Der Schauspieler förderte eine Menge Talent zutage. Sehr naturgetreu ahmte er das Summen einer Fliege nach, die ein Betrunkener an der Fensterscheibe zu fangen sucht, ebenso das Geräusch einer Säge; er stellte sich mit dem Gesicht zur Wand in eine Zimmerecke und spielte das Telefongespräch einer nervösen Dame, dann ahmte er den Gesang auf einer Grammophonplatte nach, und schließlich stellte er äußerst lebensecht einen persischen Jungen mit einem dressierten Affen dar. Eine fiktive Kette in der Hand haltend, fletschte er gleichzeitig die Zähne und hopste mit eingeknickten Knien wie eine Meerkatze, zwinkerte flink und kratzte sich abwechselnd das Hinterteil und das Kopfhaar, wobei er mit näselnder, eintöniger und schwermütiger Stimme sang, die Worte verstümmelnd:
»Junkerlein zog in 'n Krieg,
Frollein hinterm Zaune liegt,
Ei-na, ei-na-na-na, ei-na, na-na-na.«
Zum Schluß nahm er die Blonde Manka in die Arme, wickelte sie in die Schöße seines Gehrocks, streckte die Hand aus, machte ein weinerliches Gesicht und wackelte mit dem zur Seite geneigten Kopf, wie es die schmutzigen braunen Straßenjungen aus dem Osten tun, die in langen Soldatenmänteln durch ganz Rußland streunen, einen dünnhaarigen hustenden Affen an die entblößte bronzefarbene Brust gepreßt.
»Woher bist denn du?« fragte die dicke Katja streng; sie kannte und liebte diesen Spaß.
»Aus Serbien, Frooilein«, näselte der Schauspieler kläglich. »Eine kleine Gabe, Frooilein.«
»Und wie heißt dein Äffchen?«
»Matrjoschkaaa … Es hat Huunger, Fräulein … Möchte Freeßchen.«
»Hast du einen Ausweis?«
»Wir komm' von Serbieen. Eine kleine Gabe, Frooilein …«
Gut, daß der Schauspieler da war. Er verbreitete sofort
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