Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
Vom Netzwerk:
begreife ich nicht. Wenn schon die ganze Menschheit dich so anekelt, wie hältst du dann, und noch dazu so lange, dies alles aus?« Lichonin wies mit der Hand rund um den Tisch. »Das Gemeinste, was die Menschheit ersinnen konnte?«
    »Ich weiß auch nicht«, sagte Platonow treuherzig. »Sieh – ich bin ein Landstreicher und liebe das Leben mit ganzer Leidenschaft. Ich war Dreher und Schriftsetzer, ich habe Tabak, und zwar den silberblättrigen Machorka, gesät und verkauft, ich bin als Heizer übers Asowsche Meer gefahren, habe als Fischer in Dubinins Betrieben am Schwarzen Meer gearbeitet, habe Wassermelonen und Ziegelsteine auf Dnepr-Kähne verladen, bin mit einem Zirkus herumgereist, war Schauspieler – an alles kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Und nie hat mich äußere Not dazu getrieben. Nein, es war nur ein grenzenloser Lebenshunger und eine unbezwingbare Neugier. Ja, manchmal packt mich sogar das Verlangen, mich für ein paar Tage in ein Pferd, eine Pflanze oder in einen Fisch zu verwandeln oder einmal eine Frau zu sein, um Glück und Schmerz des Gebärens auszukosten; ich möchte das Innere jedes Menschen, der mir begegnet, nacherleben und die Welt mit seinen Augen sehen. Und so stromere ich durch Stadt und Land, ganz ungebunden, kenne und liebe ein Dutzend Berufe und segele mit Freuden überall dort umher, wohin das Schicksal mein Schifflein treibt. So bin ich schließlich ans Bordell geraten, und je mehr ich mich hier umsehe, desto stärker wachsen in mir Unruhe, Unverständnis und eine Riesenwut. Aber das ist nun auch bald vorbei. Sowie es Herbst wird, geht's wieder auf und davon! Ich werde in einem Schienenwalzwerk arbeiten. Ich habe da einen Freund, der bringt mich unter … Moment, Moment, Lichonin … Hör nur, der Schauspieler … Das ist der dritte Akt.«
    Egmont-Lawrezki, der bis jetzt sehr imposant ein Ferkel, das in einen Sack gesteckt wird, und einen Streit zwischen Hund und Katze imitiert hatte, wurde nun allmählich matt und trübsinnig. Ihn überkam bereits sein üblicher Selbstzerfleischungsanfall, während dessen er mehrmals versuchte, Jartschenko die Hand zu küssen. Seine Lider waren gerötet, rings um seine bartstopplige Mundgegend vertieften sich die weinerlichen Falten, und an seiner Stimme hörte man, daß ihm Nase und Kehle schon übervoll von Tränen waren.
    »Ich spiele in einer Farce!« sagte er und schlug sich mit der Faust an die Brust. »In gestreiften Unterhosen mach ich der satten Menge den Clown! Hab mein Licht ausgelöscht, mein Talent beerdigt, wie eine faule Sklavenseele! Und früüher«, blökte er tragisch, »früüheer! Fragen Sie in Nowotscherkassk, fragen Sie in Twer, in Ustjushen, in Swenigorodok, in Kryshopol. Was war ich für ein Shadow und was für ein Belugin, wie spielte ich den Max, welch eine Gestalt machte ich aus Weltistschew – das war meine Traumrolle! Nadin-Perekopski hat zusammen mit mir bei Sumbekow angefangen! Mit Nikoforow-Pawlenko hab ich gespielt. Wer hat Legunow-Potschainin einen Namen gemacht? Ich! Und jeetzt …«
    Er schluchzte durch die Nase und wollte den Privatdozenten küssen.
    »Ja! Verachtet mich, brandmarkt mich, ihr ehrlichen Leute. Ich spiele den Hanswurst, ich saufe … Hab das heilige Salböl verkauft und verschüttet! Sitze in einer Spelunke mit käuflicher Ware. Und meine Frau … die heilige, die reine, mein Täubchen! Oh, wenn sie wüßte, wenn sie wüßte! Sie müht sich ab, sie hat ein Modegeschäft, ihre Finger – diese Engelsfingerchen – sind von der Nadel zerstochen, und ich! Oh, diese heilige Frau! Und ich – ich Nichtsnutz! –, gegen wen vertausche ich dich! Oh, Schrecken!« Der Schauspieler raufte sich das Haar. »Professor, lassen Sie mich Ihre gelehrte Hand küssen. Sie allein verstehen mich. Kommen Sie mit, ich will Sie mit ihr bekannt machen, Sie sollen sehen, was für ein Engel sie ist! Sie wartet auf mich, sie schläft nächtelang nicht, sie faltet meinen Kinderchen die Hände und flüstert mit ihnen gemeinsam: ›Herrgott, hüte und beschütze den Papa!‹«
    »Du lügst ja, Schauspieler«, sagte auf einmal die Blonde Manka, die betrunken war, und sah Egmont-Lawrezki haßerfüllt an. »Gar nichts flüstert sie, sie schläft seelenruhig mit einem Mann in deinem Bett.«
    »Schweig, Hure!« kreischte der Schauspieler außer sich, ergriff eine Flasche am Hals und schwang sie hoch über seinem Kopf. »Haltet mich fest, sonst zerschmettere ich dieser Schlampe den Schädel. Wehe, du beleidigst mit deiner

Weitere Kostenlose Bücher