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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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Situationen auf, in denen eine Prostituierte garantiert lügt, und du wirst selbst sehen, daß es der Mann ist, der sie dazu veranlaßt.«
    »Laß hören.«
    »Erstens: Sie schminkt sich rücksichtslos, manchmal sogar zu ihrem eigenen Nachteil. Warum? Weil jeder picklige Kadett, dem seine Geschlechtsreife so zusetzt, daß er frühjahrs rappelig wird wie ein balzender Auerhahn, und jede erbärmliche Beamtenseele aus einem Wohltätigkeitsverein, Gatte einer schwangeren Frau und Vater von neun Kinderchen – weil sie beide nämlich nicht mit der vernünftigen und schlichten Absicht herkommen, einen Überschuß an Geilheit hier abzureagieren. Jeder Flegel kommt hierher, um zu genießen, er möchte auch noch Schönheit – welch ein Ästhet! Und all diese Mädchen, all diese Töchter des einfachen, unkomplizierten großen russischen Volkes – wie sehen sie denn die Ästhetik? ›Was süß ist, schmeckt gut; was grell ist, sieht schön aus.‹ Also bitte, da hast du deine Schönheit aus Antimon und weißer und roter Schminke!
    Das ist das eine. Das zweite ist, daß dieser hervorragende Kavalier – nicht genug, daß er Schönheit wünscht – auch noch so etwas wie Liebe erwartet, seine Berührung soll in der Frau das berühmte ›laaidenschaftliche Foooier‹ auslösen, von dem in idiotischen Romanzen gesungen wird. Ha! Das ist es, was du möchtest? Bitte! Und die Frau belügt ihn mit Gesicht und Stimme, mit Seufzern, Stöhnen, Körperbewegungen. In der Tiefe seiner Seele weiß er um diesen professionellen Betrug, aber trotzdem – das wär doch gelacht! – fühlt er sich geschmeichelt: ›Ach, was bin ich für ein schöner Mann! Ach, wie lieben mich die Frauen! Ach, in welche Ekstase kann ich sie versetzen!‹ Es kommt ja auch vor, daß man einem Mann mit toller Frechheit auf unglaubwürdigste Weise Schmeicheleien ins Gesicht sagt, und er selbst sieht und weiß das ganz genau, und doch – zum Teufel! – geht es ihm ein wie Honigseim. So ist es auch hier. Nun sag selbst: Wer gibt Anlaß zum Lügen?
    Und noch ein dritter Punkt, Lichonin. Du selbst hast mich darauf gebracht. Am meisten lügen sie, wenn sie gefragt werden: ›Wie ist es gekommen, daß du solch ein Leben führst?‹ Aber welches Recht hast du denn, danach zu fragen, zum Teufel auch?! Sie dringt doch auch nicht in deine Intimsphäre ein. Sie interessiert sich nicht für deine erste ›heilige‹ Liebe oder für die Unschuld deiner Schwestern und deiner Braut. Aha! Du bezahlst Geld? Na fabelhaft! Die Puffmutter und der Rausschmeißer, die Polizei, die Medizin und die Stadtverwaltung wahren deine Interessen. Hervorragend! Dir ist ein höfliches und anständiges Benehmen von seiten der Prostituierten, die du für die Liebe gemietet hast, garantiert, und deine Persönlichkeit ist unantastbar – sogar im wortwörtlichen Sinn, soweit es nämlich die Ohrfeige betrifft, die du natürlich verdient hast für dein zweckloses und womöglich sogar quälendes Verhör. Aber du möchtest für dein Geld auch noch Wahrheit? Tja, die kannst du allerdings nie nachprüfen und kontrollieren. Dir wird genau die schablonenhafte Geschichte erzählt, die du – selbst ein Mensch der Schablone und ein banaler Kerl – am leichtesten verdauen kannst. Weil nämlich das Leben selbst für dich entweder allzu gewöhnlich und langweilig ist oder aber so unwahrscheinlich, wie es das Leben nur sein kann. Und so serviert man dir die ewige Durchschnittsgeschichte vom Offizier, vom Kommis, von einem Kind und vom alten Vater, der sich in der Provinz über seine verirrte Tochter die Augen ausweint und sie anfleht zurückzukommen. Aber versteh mich recht, Lichonin, alles, was ich sage, bezieht sich nicht auf dich. Ich spüre ja, Ehrenwort, daß du eine große und aufrichtige Seele besitzt … Trinken wir noch mal auf dein Wohl?«
    Sie tranken.
    »Soll ich weitersprechen?« fragte Platonow unsicher. »Langweile ich dich nicht?«
    »Nein, nein, bitte, sprich.«
    »Sie lügen außerdem, und besonders naiv, gegenüber denen, die sich vor ihnen mit Politik brüsten. Da sind sie mit allem, was du nur willst, einverstanden. Heute kann ich zu einer sagen: ›Fort mit der gegenwärtigen bourgeoisen Gesellschaftsordnung! Mit Bomben und mit dem Dolch rotten wir Kapitalisten, Gutsbesitzer und Bürokraten aus!‹ Sie wird mir eifrig zustimmen. Aber wenn morgen der Getreidehändler Nosdrunow schreit, daß man alle Sozialisten erhängen muß und alle Studenten zusammenschlagen und alle Juden, die sich an

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