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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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regelmäßig sich wiederholenden kleinen goldenen Lorbeerkränzen gemustert waren. Die Rowinskaja mit ihrem scharfen Künstlergedächtnis erkannte sofort, daß genau die gleiche Tapete in dem Zimmer gewesen war, wo sie alle vier vorhin gesessen hatten.
    Herein kamen vier Deutsche von der Ostsee. Alles üppige, vollbusige Blondinen, gepudert, sehr aufgeblasen und ehrfurchtgebietend. Das Gespräch wollte anfangs nicht recht in Gang kommen. Die Mädchen saßen reglos wie Steinskulpturen, denn sie wollten um jeden Preis wie anständige Damen wirken. Selbst der Champagner, den Rjasanow bestellte, besserte die Stimmung nicht. Als erste kam die Rowinskaja der Gesellschaft zu Hilfe, indem sie sich an die Fülligste von den Deutschen wandte, eine Flachsblonde, die aussah wie ein Semmelbrötchen. Sie fragte höflich auf deutsch: »Sagen Sie – wo stammen Sie her? Vermutlich aus Deutschland?«
    »Nein, gnädige Frau* [13] , ich bin aus Riga.«
    »Und was veranlaßt Sie, hier zu arbeiten? Doch keine Zwangslage, hoffe ich?«
    »Natürlich nicht, gnädige Frau* . Aber, wissen Sie, mein Verlobter Hans ist Kellner in einem Automatenrestaurant, und wir sind zu arm, um jetzt schon zu heiraten. Ich bringe meine Ersparnisse zur Bank, und er tut das gleiche. Wenn wir die zehntausend Rubel, die wir brauchen, zusammenhaben, eröffnen wir eine eigene Bierstube, und dann, so Gott will, leisten wir uns den Luxus, Kinder zu haben. Zwei Kinder. Einen Jungen und ein Mädchen.«
    »Aber hören Sie, mein Fräulein* «, wunderte sich die Rowinskaja. »Sie sind jung, hübsch, beherrschen zwei Sprachen …«
    »Drei, Madame«, warf die Deutsche stolz ein. »Ich spreche auch noch estnisch. Ich habe die Städtische Lehranstalt besucht und drei Klassen des Gymnasiums.«
    »Nun eben, sehen Sie, sehen Sie«, ereiferte sich die Rowinskaja. »Mit dieser Bildung könnten Sie jederzeit eine Stelle finden, mit Kost und Logis für dreißig Rubel etwa. Sagen wir, als Wirtschafterin, als Bonne, als erste Verkäuferin in einem guten Geschäft oder als Kassiererin … Und wenn Ihr Bräutigam in spe … dieser Fritz …«
    »Hans, Madame.«
    »Wenn dieser Hans ein arbeitsamer und sparsamer Mensch ist, dann wäre es für Sie durchaus nicht schwierig, sich in drei, vier Jahren ganz auf eigene Füße zu stellen. Was meinen Sie?«
    »Ach, Madame, Sie irren sich ein bißchen. Sie haben außer acht gelassen, daß ich auch in der besten Stellung, selbst wenn ich auf alles verzichte, nicht mehr als fünfzehn bis zwanzig Rubel monatlich zurücklegen kann, hier hingegen erübrige ich bei vernünftiger Einteilung bis zu hundert Rubel und bringe sie sogleich auf die Sparkasse. Und außerdem, gnädige Frau* , bedenken Sie doch, wie erniedrigend es ist, eine Dienstbotenstelle innezuhaben! Ständig von den Launen und der Gemütsverfassung der Herrschaft abhängig zu sein! Und der Herr läßt einen niemals in Ruh mit seinen Torheiten. Pfui! Und die Herrin ist eifersüchtig, schikaniert einen und schimpft.«
    »Nein … das verstehe ich nicht …«, sagte die Rowinskaja langsam und nachdenklich, wobei sie der Deutschen nicht ins Gesicht sah, sondern die Augen niedergeschlagen hatte. »Ich habe viel über Ihr Leben hier gehört, in diesen … wie sagt man am besten? … in diesen Häusern. Es wird Schreckliches erzählt. Daß Sie gezwungen werden, die widerwärtigsten, ältesten und häßlichsten Männer zu lieben, daß man Sie auf grausamste Weise ausbeutet …«
    »Oh, niemals, Madame … Jede von uns hat ihr Rechnungsbuch, wo Einnahmen und Ausgaben gewissenhaft eingetragen werden. Im vorigen Monat habe ich reichlich fünfhundert Rubel verdient. Wie stets bekommt die Chefin zwei Drittel für Kost, Logis, Heizung, Licht, Wäsche … Mir bleiben mehr als hundertfünfzig, nicht wahr? Fünfzig gebe ich für Kleidung und sonstige Kleinigkeiten aus. Hundert spare ich. Wo ist da die Ausbeutung, Madame, frage ich Sie. Und wenn ein Mann mir absolut nicht zusagt – freilich, es gibt schon welche, die allzu widerlich sind –, dann kann ich immer noch sagen, ich sei krank, und dann vertritt mich eine von den Neuen.«
    »Ja, aber … Verzeihung, ich weiß Ihren Namen nicht …«
    »Elsa.«
    »Es heißt, Elsa, man würde Sie sehr grob behandeln … Sie würden zuweilen geschlagen oder zu etwas gezwungen, was Sie nicht mögen und was Ihnen zuwider ist?«
    »Niemals, Madame!« sagte Elsa hochmütig. »Wir leben hier wie eine große Familie. Wir sind alle Landsleute oder Verwandte, und ich

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