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Das sündige Viertel

Das sündige Viertel

Titel: Das sündige Viertel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kuprin
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vos souvenirs, baronne«, mischte sich Tamara auf einmal dreist in das Gespräch. »Je puis vous venir en aide. Rappelez-vous seulement Kharkoff, et la chambre d'hôtel de Koniakine, l'entrepreneur Solovieitchik, et le ténor di grazia … A ce moment vous n'étiez pas encore Madame la baronne de … Ach, lassen wir das Französisch … Sie waren eine kleine Choristin und mit mir zusammen engagiert.«
    »Mais, dites-moi, au nom de Dieu, comment vous trouvez-vous ici, Mademoiselle Marguerite?« [14]
    »Oh, danach fragt man uns jeden Tag. Es hat sich eben so ergeben.« Und mit unbeschreiblichem Zynismus fragte sie: »Ich hoffe, Sie bezahlen die Zeit die wir Ihnen gewidmet haben?«
    »Nein, der Teufel soll euch holen!« schrie plötzlich die Blonde Manka und stand schnell vom Fußboden auf. Sie holte zwei Goldmünzen aus ihrem Strumpf und warf sie auf den Tisch. »Da! Das schenke ich euch für die Droschke. Haut sofort ab, sonst zerschlage ich hier sämtliche Spiegel und Flaschen …«
    Die Rowinskaja erhob sich und sagte, wobei ihr aufrichtige Tränen in den Augen standen: »Gewiß, wir gehen, und die Lehre, die Mademoiselle Marguerite uns erteilt hat, werden wir nicht vergessen. Ihre Zeit wird bezahlt – sorgen Sie dafür, Wolodja. Indes, Sie haben so viel für uns gesungen, so erlauben Sie mir, auch für Sie etwas zu singen.«
    Die Rowinskaja ging zum Klavier, griff ein paar Akkorde und stimmte auf einmal die wundervolle Romanze von Dargomyshski an:
    »Wir trennten schweigend uns, kein Hauch von meinem Munde
Hat dich gestreift mit leisem Vorwurf oder Flehn …
Du gingst für immer fort, doch harre ich der Stunde,
Dich noch einmal zu sehn!
Ach, könnte ich dich nur noch einmal sehn!
    Dem Schicksal beugte ich mich klaglos, ohne Tränen …
Du tatest mir in meinem Leben oft so weh.
Hast du mich je geliebt? Nun bleibt mir nur das Sehnen,
Dich noch einmal zu sehn!
Ach, könnte ich dich nur noch einmal sehn!«
    Diese zarte und leidenschaftliche Romanze, von der großen Künstlerin gesungen, erinnerte jede der Frauen schlagartig an die erste Liebe, daran, wie sie ihre Unschuld verlor, an späten Abschied in Lenzesfrührot, in morgendlicher Kühle, wenn Tau das Gras versilbert und roter Himmelsschein die Birkenwipfel rosig erschimmern läßt, an letzte Umarmungen, die sich nicht lösen wollen, und daran, wie das wissende, empfindsame Herz wehmütig wispert: Das wiederholt sich nicht, nein, das wiederholt sich niemals! Kalt und trocken waren damals die Lippen, und feuchter Morgennebel lag auf dem Haar.
    Verstummt war Tamara, verstummt war die Skandal-Manka, und Shenka, die Ungebärdigste von allen, lief plötzlich auf die Künstlerin zu, fiel vor ihr auf die Knie und begann zu schluchzen.
    Die Rowinskaja, selbst aufs äußerste gerührt, umfaßte ihren Kopf und sagte: »Du meine Schwester, komm, laß dich küssen!«
    Shenka flüsterte ihr etwas ins Ohr.
    »Aber das ist doch Unsinn«, sagte die Rowinskaja, »ein paar Monate Behandlung, dann ist alles wieder gut.«
    »Nein, nein, nein … Ich will sie alle krank machen. Sie sollen alle verfaulen und verderben.«
    »Ach, meine Liebe«, sagte die Rowinskaja, »das würde ich nicht tun an Ihrer Stelle.«
    Und da begann Shenka, die stolze Shenka, der Künstlerin Knie und Hände zu küssen, und sprach: »Warum haben die Menschen mich so gedemütigt? Warum haben sie mich so gedemütigt? Warum? Warum? Warum?«
    Das ist die Macht des Genies! Die einzige Macht, die nicht den gemeinen Verstand, sondern die warme, lebendige Seele des Menschen in ihre wunderbaren Hände nimmt. Die selbstbewußte Shenka barg ihr Gesicht im Kleid der Rowinskaja, die Blonde Manka saß sittsam auf dem Stuhl, das Gesicht mit einem Tuch bedeckend, Tamara, den Ellenbogen aufs Knie gestützt und den Kopf in die Hand gelegt, blickte nachdenklich vor sich hin, und der Portier Simeon, der für alle Fälle an der Tür gelauert hatte, machte runde Augen vor Staunen.
    Die Rowinskaja flüsterte Shenka leise ins Ohr: »Sie dürfen niemals verzweifeln. Manchmal kommt alles so schlimm, daß man sich am liebsten aufhängen möchte, und dann ändert sich das Leben plötzlich, und morgen sieht alles ganz anders aus. Meine liebe Schwester, ich bin jetzt weltberühmt. Aber wenn du wüßtest, welches Meer von Erniedrigungen und Gemeinheiten ich durchwaten mußte! Werde gesund, meine Liebe, und vertraue deinem Stern.«
    Sie beugte sich zu Shenka nieder und küßte sie auf die Stirn. Niemals würde Wolodja Tschaplinski, der die

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