Das sündige Viertel
wünschte, daß es recht vielen Menschen in ihren Familien so gut ginge wie uns hier. Gewiß, in der Kutschergasse kommen die verschiedensten Skandale vor, Schlägereien und Mißhelligkeiten. Aber das ist doch in den anderen, in den billigen Etablissements. Die russischen Mädchen trinken viel und haben immer einen Liebhaber. Und sie denken überhaupt nicht an ihre Zukunft.«
»Sie sind sehr vernünftig, Elsa«, sagte die Rowinskaja ernst. »All das ist gut und schön. Aber was wird bei einer zufälligen Erkrankung? Einer Infektion? Das bedeutet doch den Tod. Und wie kann man da sicher sein?«
»Und abermals – nein, Madame. Ich lasse einen Mann nicht zu mir ins Bett, bevor ich ihn nicht einer gründlichen medizinischen Untersuchung unterzogen habe. Ich habe mindestens fünfundsiebzig Prozent Garantie.«
»Herrje!« rief die Rowinskaja plötzlich aufgebracht und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Aber Ihr Albert …«
»Hans«, korrigierte die Deutsche sanft.
»Pardon … Ihr Hans ist wahrscheinlich nicht sehr erfreut darüber, daß Sie hier leben und ihn jeden Tag betrügen.«
Elsa sah sie mit aufrichtiger, lebhafter Verwunderung an.
»Aber gnädige Frau* … Ich habe ihn noch nie betrogen! Das sind andere, verdorbene Mädchen, besonders Russinnen, die halten sich Liebhaber, für die sie ihr schwerverdientes Geld rauswerfen. Aber ich hätte mich jemals auf so etwas einlassen sollen? Pfui!«
»Noch tiefer kann man nicht sinken!« sagte die Rowinskaja laut und verächtlich, während sie aufstand. »Zahlen Sie, Herrschaften, und lassen Sie uns weitergehen.«
Als sie auf die Straße traten, ergriff Wolodja ihren Arm und sagte beschwörend: »Um Gottes willen, reicht Ihnen die eine Erfahrung nicht?«
»Oh, welche Gemeinheit! Welche Gemeinheit!«
»Deshalb sage ich ja, wir wollen es genug sein lassen.«
»Nein, ich gehe auf jeden Fall bis ans Ende. Zeigen Sie mir etwas Durchschnittliches, etwas Schlichteres.«
Wolodja Tschaplinski, der die ganze Zeit um Jelena Viktorowna bangte, schlug das Nächstliegende vor – das Etablissement von Anna Markowna aufzusuchen, bis zu dem es nur zehn Schritte waren.
Doch hier nun harrten ihrer starke Eindrücke. Zuerst wollte Simeon sie nicht einlassen, und nur ein paar Rubel, die Rjasanow ihm gab, konnten ihn erweichen. Sie nahmen Platz in einem Zimmer, das war ganz ähnlich wie bei Tröppel, nur etwas schäbiger und abgenutzter. Auf Emma Eduardownas Anweisung wurden die Mädchen ins Zimmer geschickt. Das aber war genau so, als würde man Soda mit Säure mischen. Und der größte Fehler war, daß auch Shenka hereingelassen wurde – die zornige, nervöse Shenka mit den unverschämten Fünkchen in den Augen. Als letzte kam die stille, bescheidene Tamara mit ihrem verschämten und unzüchtigen Mona-Lisa-Lächeln. Schließlich waren fast alle Mädchen des Etablissements im Zimmer versammelt. Die Rowinskaja wagte schon nicht mehr zu fragen: »Wie ist es gekommen, daß du so ein Leben führst?« Es muß aber gesagt werden, daß die Bewohnerinnen des Hauses ihr äußerlich durchaus gastfreundlich entgegenkamen. Jelena Viktorowna bat sie, ihr die Lieder vorzusingen, die bei ihnen üblich seien, und sie sangen bereitwillig:
»Montagmorgen will sich regen,
Ich möcht gern entlassen sein,
Doktor Krassow ist dagegen –
Ach, der Teufel hol ihn ein!«
Und weiter:
»Ich armes, armes Mädchen, oje –
Die Kneipe geschlossen,
Der Kopf tut mir weh …
Die Liebe des Jünglings
Brennt heiß, ach, so heiß,
Und die Nutte, die Nutte
Ist kalt wie Eis …
Hahaha!
Sie hab'n sich gefunden,
Sie haben sich lieb:
Sie ist eine Nutte
Und er ein Taschendieb …
Hahaha!
Und kommt dann der Morgen
Nach zärtlicher Nacht,
Denkt er schon ans Stehlen,
Doch sie liegt da und lacht …
Hahaha!
Am nächsten Tag wurde
Der Junge geschnappt,
Doch sie, die kleine Nutte,
Zieht mit den andern ab …
Hahaha!«
Und noch weiter ein Gefängnislied:
»Die Jahre, sie eilen
So flüchtig dahin,
Für immer, ich Armer,
Verloren ich bin.«
Und schließlich:
»Nicht weinen, Marussja,
Einmal wirst du mein,
Wenn die Dienstzeit um ist,
Dann soll Hochzeit sein.«
Doch plötzlich, zur allgemeinen Überraschung, brach die dicke, meist schweigsame Katka in Lachen aus. Sie war aus Odessa gebürtig.
»Bitte, ich möchte auch ein Lied singen. Das singen bei uns auf der Moldawanka und in Peressyp die Diebe und die Nutten in den Kneipen.«
Und sie stimmte in fürchterlichem Baß, mit verrosteter Stimme, die ihr nicht
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