Das sündige Viertel
gehorchte, ein Lied an, dabei vollführte sie die ungeschicktesten Gesten, ahmte aber offenbar eine drittrangige Chansonette nach, die sie irgendwo einmal erlebt hatte:
»Ach, jetzt geh ich zum Krug hinein,
Setze mich zu Tisch,
Nehme ab mein Hütelein,
Werf es untern Tisch.
Und ich frage jetzt mein Lieb,
Was sie trinken will.
Doch sie mir die Antwort gibt:
Kopf tut weh, sei still.
Ach, ich hab dich nicht gefragt,
Was dir weh tut, Kind.
Was du trinken willst – so sag,
Sag es nun geschwind:
Klares Wasser, Bier oder Wein,
Oder darf es ein Giftbecher sein?«
Alles wäre gut abgegangen, wenn nicht auf einmal die Blonde Manka ins Zimmer gestürmt wäre, nur in Unterhemd und weißen Spitzenhöschen. Ein Kaufmann, der am Vorabend Veranstalter einer »paradiesischen Nacht« gewesen war, hatte mit ihr gezecht, und der unglückselige Benediktiner, der immer mit der Geschwindigkeit von Dynamit bei dem Mädchen wirkte, hatte sie in ihren üblichen Skandalzustand versetzt. Sie war schon nicht mehr die »Kleine Manka« oder die »Blonde Manka«, sondern sie war jetzt die »Skandal-Manka«. Als sie hereingelaufen kam, fiel sie vor Überraschung gleich rücklings auf den Fußboden und lachte so herzhaft, daß auch alle anderen in Lachen ausbrachen. Ja. Doch dieses Gelächter währte nicht lange. Manka setzte sich plötzlich auf und schrie: »Hurra, wir haben neue Mädels gekriegt!«
Das kam nun ganz unerwartet. Eine noch größere Taktlosigkeit beging die Baronesse. Sie sagte: »Ich bin Patronin eines Klosters für gefallene Mädchen, und deshalb muß ich dienstlich Auskünfte über euch einholen.«
In diesem Augenblick explodierte Shenka: »Hau sofort ab, du alte dumme Gans! Du Miststück! Du Dreckschleuder! Eure Magdalenen-Asyle – die sind schlimmer als Gefängnis. Eure Sekretäre bedienen sich an uns wie die Hunde am Aas. Eure Väter und Männer und Brüder kommen zu uns, und wir stecken sie mit allen möglichen Krankheiten an. Absichtlich! Und sie stecken dann euch an. Eure Aufseherinnen treiben es mit Kutschern, Hausmeistern und Polizisten, und wir werden eingesperrt, wenn wir mal lachen oder unter uns einen Spaß machen. Und wenn Sie hierherkommen wie ins Theater, dann müssen Sie sich auch die Wahrheit ins Gesicht sagen lassen.«
Tamara gebot ihr Einhalt: »Warte, Shenja, laß mich das machen … Glauben Sie wirklich allen Ernstes, Baronesse, daß wir schlechter sind als die sogenannten anständigen Frauen? Zu mir kommt ein Mann, zahlt zwei Rubel für den Besuch oder fünf Rubel für die ganze Nacht, und ich denke nicht daran, das vor irgend jemandem auf der Welt geheimzuhalten. Nun sagen Sie, Baronesse, kennen Sie auch nur eine verheiratete Dame mit Familie, die sich nicht heimlich hingeben würde, entweder einem Jungen, aus Leidenschaft, oder einem Alten, für Geld? Ich weiß sehr gut, daß fünfzig Prozent von Ihnen sich von einem Liebhaber aushalten lassen, und die restlichen fünfzig Prozent, die etwas Älteren, halten sich junge Knaben. Ich weiß auch, daß viele – ach, und wie viele! – von Ihnen mit ihren Vätern, Brüdern und sogar mit ihren Söhnen schlafen, doch Sie halten diese Geheimnisse streng unter Verschluß. Das ist der ganze Unterschied zwischen uns. Wir sind Gefallene, aber wir lügen nicht und verstellen uns nicht, Sie dagegen fallen immer tiefer und lügen dabei noch. Nun urteilen Sie selbst – wer kommt dabei besser weg?«
»Bravo, Tamarotschka, gib's ihnen!« rief Manka, ohne vom Fußboden aufzustehen, sie glich jetzt, blondlockig und zerzaust, einem dreizehnjährigen kleinen Mädchen.
»Ja, ja!« feuerte auch Shenka sie an, und ihre Augen funkelten.
»Schon gut, Shenetschka! Ich gehe sogar noch weiter. Von uns hat kaum eine unter Tausenden eine Abtreibung gemacht. Sie dagegen mehrmals, alle. Wie! Oder stimmt das etwa nicht? Und diejenigen von Ihnen, die es taten, taten es nicht aus Verzweiflung oder bitterer Armut, sondern Sie fürchteten einfach, sich die Figur und die Schönheit zu verderben, das ist ja Ihr einziges Kapital. Oder aber Sie suchten nur animalische Wollust, und Schwangerschaft und Stillzeit hätten Sie daran gehindert!«
Die Rowinskaja war nervös geworden und flüsterte rasch: »Faites attention, baronne, que dans sa position cette demoiselle est instruite.«
»Figurez-vous que moi, j'ai aussi remarqué cet étrange visage. Comme si je l'ai déjà vu … est-ce en rêve? … en demi-délire? ou dans sa petite enfance?«
»Ne vous donnez pas la peine de chercher dans
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