Das Süße Geheimnis Der Leidenschaft: Roman
die Wendeltreppe hinunter.
Er begegnete seiner Großmutter im Turmzimmer, das sie seit Langem als ihr privates Wohn- und Arbeitszimmer benutzte. Sie ging mit festen Schritten auf ihn zu.
»Sie ist gekommen, mein Junge«, sagte seine Großmutter, während sie die Hände nach seinem offenen Hemdkragen ausstreckte, um ihn zu schließen. »Willst du kein Krawattentuch umlegen?«
Merrick schüttelte den Kopf.
Seine Großmutter legte ihm die Hände auf die Brust und sah ihn fragend an. »Was willst du, Merrick?«, fragte sie leise.
Er nahm ihre alterswelke Hand, schloss ihre Finger um seine und hob sie an seine Lippen. »Granny, ich weiß es nicht«, sagte er.
»Oh, das glaube ich dir nicht«, entgegnete sie. »Aber was willst du von mir, Junge? Noch bevor du hier eingetroffen warst, wusste ich, dass du kommen würdest - und das mit einer bestimmten Absicht.«
Er sah sie einen Augenblick lang nachdenklich an. »Es geht um den Jungen«, sagte er schließlich. »Du wirst es wissen, wenn du ihn siehst.«
Sie schürzte die Lippen und nickte. »Also gut.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Wir sollten jetzt wohl hinuntergehen.«
Madeleine schaute aus dem Fenster der Kutsche, als sie die letzte Viertelmeile ihrer Reise zurücklegten. Die Schönheit, die sie umgab, überstieg alles, was sie sich hatte vorstellen können. Der See lag wie ein Tuch aus blauem Glas vor ihnen, herabgefallen vom Himmel und umschlossen von den hoch aufsteigenden grünbewaldeten Bergen. Als dann die Burg vor ihren Augen auftauchte, verschlug es Madeleine erneut den Atem. Aus der Ferne schien das graue prächtige Gebäude auf dem See zu schweben, seine Mauern, Türme und Türmchen schimmerten silbern im Wasser.
Die Kutsche neigte sich leicht nach links, als sie sich der Zufahrt zur Burg näherte. Sogar Geoff stieß einen überraschten Laut aus, als die Brücke auftauchte. Sie war wie das Bild aus einem Märchen mit ihren hohen halbkreisförmigen Bögen, die auf nichts als auf Säulen und Wasser gebaut zu sein schienen.
»Herrlich!«, bemerkte Mr. Frost leise.
Die Kutsche fuhr eine scharfe Wende, um auf die Brücke zu fahren.
»Seht doch!«, rief Geoff aufgeregt. »Wir fahren genau über das Wasser!«
Die Räder der Kutsche rumpelten lauter, als die Kutsche sich rasch dem Haus näherte. Castle Kerr war durchaus keine große Burg, aber sie erhob sich voller Stolz aus der felsigen Landzunge, auf die sie gebaut worden war. Sie war ganz und gar von Steinmauern umgeben, die mindestens zwanzig Fuß hoch waren. Die Fallgitter zwischen den beiden kleinen Türmen waren hochgezogen und sie rollten unter ihnen hindurch auf den Hof, wo sie vor einer breiten Tür aus grob bearbeitetem Holz anhielten, deren beide Flügel weit geöffnet waren.
Eine breite, nur aus wenigen Stufen bestehende Steintreppe führte hinunter auf den Vorplatz. Sir Alasdair stand nahe dem obersten Absatz. Madeleine erkannte ihn sofort; die Jahre hatten seiner Schönheit kaum etwas anhaben können. Er trug ein Kind auf dem Arm, und neben ihm stand eine zierliche junge Lady. Sie trug eine smaragdgrüne Stola über einer Schulter.
In diesem Augenblick trat Merrick in das Sonnenlicht, eine ältere Lady an seinem Arm. Sie war dünn wie Schilfgras und sehr groß, ihre Schultern von der Zeit ungebeugt. Ihr silbergraues Haar war zu einem Nackenknoten frisiert, und, wie die jüngere Frau, trug sie eine leichte Wollstola über der Schulter, ihre war allerdings blutrot.
Es war, ohne Zweifel, die Großmutter. Madeleine fühlte sich unbehaglich beim Anblick der scharfgeschnittenen Nase und der strengen Wangenknochen. Konnte solch eine Frau in die Zukunft eines Menschen sehen? Oder in sein Herz? Das war doch nichts als Unsinn, oder? Wenn es absoluter Unsinn war, dann bedeutete das andererseits, dass sie Geoff diese fürchterliche Reise hatte vergebens machen lassen.
Es waren keine Dienstboten zu sehen. Sir Alasdair kam die Treppe herunter, um ihnen beim Aussteigen behilflich zu sein. Als er Madeleines Hand ergriff, um ihr zu helfen, trafen sich ihre Blicke. Sie sah ein Aufblitzen des Wiedererkennens und, dahinter lauernd, ein kaum verschleiertes Misstrauen.
»Willkommen auf Castle Kerr, Mylady«, begrüßte er sie kühl. »Ich hoffe, Sie werden sich hier wie zu Hause fühlen.«
Es hörte sich nicht so an, als würde er es so meinen.
Merrick sprach mit Phipps wegen des Gepäcks. Madeleine bemerkte, dass sein dichtes, rabenschwarzes Haar lang geworden war, seit sie London verlassen
Weitere Kostenlose Bücher