Das Süße Geheimnis Der Leidenschaft: Roman
nicht einmal einen Hauch von Vergoldung. Bis auf die kostbaren türkischen Teppiche und die Wandbehänge mit ihren noch immer leuchtenden Farben schien die Burg seit vierhundert Jahren in ihrem Urzustand belassen worden zu sein.
Nachdem sie die Halle durchquert hatten, erreichten sie eine weitere Treppenflucht. Schließlich gelangten sie in einen kurzen, mit Steinplatten gepflasterten Durchgang, der, selbst zu dieser Tageszeit, von flackernden Wandleuchtern erhellt wurde. Esmée blieb vor einer niedrigen, breiten Tür stehen, hob den schmiedeeisernen Riegel hoch und stieß die Tür mit ihrer Hüfte ein Stück weit auf. »Alte Häuser«, sagte sie entschuldigend, als die Tür knarrend aufschwang.
Das Zimmer war nicht groß, aber es war herrlich. Geformt wie ein Halbmond, war es ausgestattet mit einem schönen alten Himmelbett mit gewebten Wollvorhängen und einer passenden Bettdecke. An einer Wand hingen Teppiche, während in die gewölbte Wand ein bis fast zum Boden reichendes Fenster eingelassen war, vor dem eine bestickte Sitzbank stand. Das Fenster war offensichtlich eine kürzlich erfolgte Veränderung.
Madeleine ging zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und schaute hinaus. Die Wirkung war schwindelerregend, denn das Zimmer machte den Eindruck, als würde es über dem See schweben. Esmée trat neben sie. »Atemberaubend, nicht wahr?«
»So etwas habe ich noch nie gesehen«, flüsterte Madeleine.
Der See konnte von diesem Blickpunkt aus in seiner ganzen Ausdehnung überschaut werden. Er bildete ein perfektes Oval, in dessen Mitte eine winzige baumbestandene Insel lag. Sie betrachtete einen Moment lang das schimmernde Wasser und wandte sich dann widerstrebend vom Fenster ab. Esmée starrte sie an.
»Stimmt etwas nicht?«
Ihre Gastgeberin schüttelte den Kopf, als wollte sie einen Traum vertreiben. »Nein, entschuldigen Sie«, sagte sie mit ihrem leichten Hochland-Akzent. »Sie müssen mir verzeihen. Es ist nur ... Nun, es ist nur so seltsam, dass Sie hier sind. Bis gestern hatte ich keine Ahnung davon, dass ... nun, dass Merrick überhaupt eine Ehefrau hat.«
Madeleine öffnete den Mund, um klarzustellen, dass sie nicht seine Ehefrau war, dass ihre Verbindung bereits vor langer Zeit auseinandergegangen war. Aber sie war sich nicht länger sicher, dass das wirklich so war, vom juristischen Standpunkt her - und, was sie betraf, auch vom emotionalen.
Sie wurde davor bewahrt, mit dieser dummen Antwort herauszuplatzen, weil vom Gang her Schritte zu hören waren. Ein Diener in Wollhosen und einer langen Lederweste trug zwei Kannen mit Wasser herein. Eliza folgte ihm mit zwei Koffern.
Esmée ging zur Tür. »Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte sie. »Fühlen Sie sich bitte ganz wie zu Hause!«
Das Essen wurde an diesem Abend um sechs Uhr serviert, und für Madeleine war es eine eher unbehagliche Angelegenheit. Weil das einzige andere Kind im Haus Esmées Schwester war, hatte Lady Annis angeordnet, dass Geoff mit den Erwachsenen essen sollte. Irgendwie eingeschüchtert von den vielen neuen Gesichtern, sagte der Junge nur wenig. Auch Merrick war schweigsam, aber mehr als einmal spürte Madeleine die Hitze seines Blickes auf sich. Zwischen Mr. Frost und Sir Alasdair, der wie üblich überaus charmant war, verlief die Konversation während des Essens annehmbar gut. Lady Annis schien damit zufrieden, alles im Blick zu haben, wenngleich es schien, als beobachtete sie alles mit den Augen eines Adlers.
Madeleine fragte sich, welchen Grund Merrick seiner Familie für ihren unerwarteten Besuch genannt hatte. Natürlich wussten alle bis auf Geoff und dessen Lehrer, dass Madeleine einst Merricks Frau gewesen war. Sir Alasdair war sich dessen nur zu gut bewusst. Obwohl das genaue Gegenteil sowohl im Aussehen als auch im Temperament hatten die Brüder sich immer nahegestanden, und Alasdair gab ganz offensichtlich Madeleine die Schuld für das Scheitern der Ehe.
Nach dem Essen zog sich die Familie in den Salon zurück, um Karten zu spielen. Nur Lady Annis, die die Gebrechen ihres hohen Alters geltend machte, zog sich zurück und ließ sich von Merrick hinausführen. Mr. Frost, Esmée, Alasdair und Geoff bereiteten einen Tisch für eine Partie Whist vor, während Madeleine sich in eine Ecke am Fenster zurückzog.
Über dem See ging die Sonne unter und warf ihren purpurschimmernden Glanz über das Wasser. Als Madeleine auf dieses Schauspiel starrte, wurde sie von dem plötzlichen Wunsch gepackt, draußen sein zu können.
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