Das Süße Geheimnis Der Leidenschaft: Roman
Manchmal leidet er unter Schwermut. Er ist ein zutiefst verstörtes Kind.«
Miss de Severs nickte langsam. »In welcher Form treten diese Einbildungen auf? Als Träume? Halluzinationen? Hört das Kind Stimmen?«
»Träume, denke ich«, flüsterte Lady Bessett. »Aber auch Träume, wenn er wach ist, wenn das einen Sinn macht? Ich - ich bin nicht ganz sicher, verstehen Sie? Geoffrey spricht nicht mehr mit mir darüber. Genau genommen hat er sich sehr verschlossen.«
»Leidet er noch darunter?«, fragte die Gouvernante. »Kinder entwachsen solchen Dingen oft, müssen Sie wissen.«
Lady Bessett schüttelte den Kopf. »Es wird zunehmend schlimmer«, erklärte sie. »Ich weiß, dass er sehr beunruhigt ist. Ich habe sowohl einen Arzt als auch einen Phrenologen in der Harley Street aufgesucht. Sie sagen ... o Gott! ... sie sagen, er könnte eine Geisteskrankheit haben. Dass er vielleicht den Bezug zur Realität ganz und gar verlieren könnte und unter Aufsicht gehalten werden muss. Oder - oder eingesperrt .«
»Was für ein Unsinn!«, sagte die Gouvernante und verdrehte die Augen. »Nun, ich würde gar zu gern einige der Ärzte in der Harley Street fesseln und einsperren - ganz zu schweigen davon, was ich mit den Phrenologen machen würde.«
»Sie glauben ihnen nicht?«
»Aber ganz und gar nicht!«, nickte die Frau voller Nachdruck. »Und ganz besonders nicht in diesem Fall! Ein Kind von zwölf Jahren ist noch nicht ausreichend entwickelt, weder mental noch körperlich, dass solche schrecklichen Prognosen gestellt werden können. Vielleicht ist Ihr Sohn lediglich sehr empfindsam und sensibel?«
Lady Bessett schüttelte den Kopf. »So ist es nicht«, sagte sie entschieden. »Obwohl er ein ausgesprochen guter Zeichner ist. Er hat auch eine Begabung für Mathematik und alle wissenschaftlichen Dinge. Deshalb scheinen diese - diese Anfälle so gar nicht zu ihm zu passen.«
»Er ist also kein Kind, das eine zu lebhafte Fantasie hat?«
»Nein, ganz und gar nicht.«
»Kommt er ansonsten gut mit seiner Umwelt zurecht? Lernt er? Versteht er alles?«
»Geoffs Lehrer sagt, er sei brillant.«
»Gab es in seiner Kindheit irgendwelche Traumata?«
Einen Augenblick lang zögerte Lady Bessett. »Nein, kein ... kein Trauma.«
Die Gouvernante zog wieder die Augenbrauen hoch und öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen. Aber in diesem Moment kam ein hübsches blondes Mädchen in den Salon gestürmt. Sie trug ein elegantes Abendkleid.
»Maman, es ist fertig!«, rief sie und schaute über die Schulter auf ihre Fersen. »Was sagst du? Ist der Saum so richtig? Oder sehe ich damit von hinten zu ...«
»Mein Liebes, wir haben einen Gast«, tadelte die Gouvernante - die, wie es jetzt schien, keine Gouvernante war. »Das ist Lady Bessett. Lady Bessett, meine Stieftochter, Lady Ariane Rutledge.«
Das Mädchen war rot geworden. »Oh! Ich bitte um Entschuldigung, Ma'am!« Sie knickste und zog sich sofort zurück.
»Es ist schon gut!«, murmelte Lady Bessett und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. »Wer war - ich meine, war das ...?«
»Lord Treyherns armes kleines Mädchen, das so schrecklich krank war«, sagte ihre Gastgeberin. »Ja, das ist, was ich versucht habe, Ihnen zu sagen, Lady Bessett. Wir sind verheiratet, er und ich. Und Ariane, wie Sie sehen konnten, ist jetzt eine ganz normale junge Dame. Wir haben noch drei weitere Kinder, deshalb besteht meine Arbeit zurzeit in nur wenig mehr darin, als einer Freundin oder einer Verwandten von Zeit zu Zeit einen Rat zu geben.«
»Oh.« Lady Bessetts Schultern sackten herunter. »Ach du liebe Güte! Sie sind jetzt Lady Treyhern! Und ich - nun, ich weiß nicht, was ich jetzt noch tun kann.«
Ihre Gastgeberin beugte sich zu ihr und legte die Hand auf die Lady Bessetts. »Meine Liebe, Sie sind sehr jung«, sagte sie. »Sogar noch jünger als ich, nehme ich an?«
»Ich bin dreißig«, wisperte Lady Bessett. »Und ich fühle mich, als wäre ich doppelt so alt.« Und dann, zu ihrer größten Verlegenheit, rollte ihr eine Träne über die Wange.
Lady Treyhern reichte ihr ein frisch gestärktes Taschentuch. »Dreißig ist noch ziemlich jung«, sprach sie weiter. »Sie müssen mir vertrauen, wenn ich sage, dass Kinder solchen Dingen entwachsen.«
»Glauben Sie wirklich?«, schniefte Lady Bessett. »Ich wünschte, ich könnte mir dessen sicher sein! Geoffrey ist mein Leben! Wir haben nur noch uns.«
»Ich verstehe«, sagte Lady Treyhern. »Und wie lange werden Sie in London bleiben,
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