Das Syndikat der Spinne
sagte Kuhn, »wer wusste denn alles, dass Gebhardt in U-Haft ist?«
»Zu viele. Wir haben das alles schon im Präsidium durchgekaut. Gebhardt war auf jeden Fall ein enormer Risikofaktor für bestimmte Personen, und das hätten wir bedenken müssen …«
»Quatsch«, wurde sie von Kuhn unterbrochen, »was hättet ihr denn schon tun können? Der sicherste Platz ist doch ein Gefängnis, sollte man zumindest annehmen.«
»Das habe ich bisher auch geglaubt …« Sie wollte gerade noch etwas hinzufügen, als das Telefon läutete. Es war fast halb acht. Sie hob ab.
»Hier Berger. Was machen Sie gerade?«
»So wie Sie klingen, ist das doch kein privater Anruf, oder?«
»Nein. Ich möchte Sie bitten, umgehend mit Hellmer nach Steinfurth zu fahren. Hier ist die Adresse. Ist aber nicht leicht zu finden, weil es etwas außerhalb in einem Waldstück liegt … Haben Sie’s?«
»Ja, und?«
»Thomas Wiesner, der Bruder von Andreas Wiesner, wurde vorhin in seinem Landhaus erschossen. Seine Frau hat ihn gefunden. Ich denke, Sie sollten sich das vor Ort ansehen. Informieren Sie Hellmer, oder soll ich das übernehmen?«
»Übernehmen Sie das bitte. Ich mach mich sofort auf den Weg. Und er soll sich beeilen. Sind schon irgendwelche andere Beamte am Tatort?«
»Ja, aber ich habe denen gleich gesagt, dass das wohl in unseren Zuständigkeitsbereich fällt. Und ich habe ihnen auch Ihren Namen genannt. Außerdem habe ich Anweisung gegeben, den Toten nichtanzufassen, bevor Sie nicht dort sind. Der Arzt wird ebenfalls auf Sie warten.«
»Dann wird es wohl nichts mit meinem ruhigen Abend. Ich hoffe, Sie haben wenigstens einen. Ich melde mich später noch mal bei Ihnen.«
Sie legte auf und sah Kuhn an.
»Was ist denn jetzt schon wieder passiert?«, fragte er.
»Thomas Wiesner wurde eben erschossen in seinem Landhaus aufgefunden.«
»Der Bruder vom andern Wiesner?«
»Genau der. Ich muss sofort hin.«
»Kann ich mitkommen?«
Julia Durant schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht. Das ist eine reine Polizeisache. Ich würde nur Ärger kriegen. Nicht böse sein.«
»Warum sollte ich. Ich kümmere mich derweil um die Wohnung. Und wenn du nach Hause kommst, wird hier alles blitzen. Ich kann mir nämlich einigermaßen vorstellen, wie’s jetzt in dir aussieht.«
»Nein, das kannst du nicht. Aber es ist trotzdem lieb von dir, wenn du das machst, ich meine Ordnung. Ich hoffe, dass ich nicht zu lange unterwegs bin. Jetzt um diese Zeit müsste die Autobahn Richtung Kassel eigentlich wieder frei sein. Bis nachher. Es kann ziemlich spät werden.«
»Schon okay. Hauptsache, du kommst gesund wieder heim.«
Sie nahm ihre Tasche, gab Kuhn einen Kuss und ging. Er sah aus dem Fenster, als sie in ihren Wagen stieg, und winkte ihr nach.
Freitag, 20.15 Uhr
Vor dem Haus von Thomas Wiesner waren zwei Streifenwagen, ein Notarztwagen und fünf Zivilfahrzeuge, darunter ein Porsche und Hellmers BMW. Julia Durant parkte hinter dem Sportwagen und stieg aus. Sie zeigte einem der Streifenbeamtenihren Ausweis und ging mit schnellen Schritten zum Haus. Sophia Wiesner stand mit versteinerter Miene an der offenen Tür. Sie sagte kein Wort, als sie die Kommissarin erblickte.
»Wo ist er?«, fragte Durant einen anderen Beamten, der ihr den Weg zeigte.
Thomas Wiesner lag in unnatürlich verrenkter Stellung auf dem Teppich vor dem Sessel, die Augen weit aufgerissen, die Arme und Beine seltsam verdreht. Er war von einer riesigen Blutlache umgeben. Es roch nach Blut und Alkohol. Zwei Kriminalbeamte in Zivil unterhielten sich leise mit Hellmer. Durant stellte sich zu ihnen.
»Frau Durant?«, fragte einer der beiden, ein älterer Beamter, der, wie es schien, nicht mehr lange bis zu seiner Pensionierung hatte. Er hatte ein offenes, freundliches Gesicht und reichte ihr die Hand. »Wir wurden bereits informiert, dass Sie diesen Fall bearbeiten. Wir haben uns zwar schon mit Ihrem Kollegen unterhalten, sind aber trotzdem etwas verwundert, dass die Kripo Frankfurt hier in der Wetterau …«
»Haben Sie bereits mit seiner Frau sprechen können?«
»Versucht haben wir’s, aber sie redet nur wirres Zeug. Vielleicht haben Sie ja mehr Erfolg.«
»Gleich. Erst will ich mir den Toten genauer anschauen, sobald der Fotograf fertig ist.«
»Wer immer das gemacht hat, er hat eine ganz schöne Sauerei angerichtet. Vermutlich hat er ein ganzes Magazin leer geschossen«, sagte Hellmer.
»Schau’n mer mal.«
Sie hatte es kaum ausgesprochen, als der Fotograf sagte: »So,
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