Das Syndikat der Spinne
die Bilder wären im Kasten. In zwei, spätestens drei Stunden liegt alles auf Ihrem Schreibtisch.« Er packte die Fotoapparate und die Videokamera ein und ging zu seinem Wagen. Julia Durant und Frank Hellmer beugten sich zu Wiesner hinunter und betrachteten den toten Körper. Sie zählten acht Einschüsse. Die Kugeln waren vorne ein- und hinten wieder ausgetreten. Wiesners Augen waren zwar weit geöffnet, ihnen fehlte jedoch jeglicher Glanz. Die Dumpfheitdes Todes. Ein zerbrochenes Glas lag neben ihm, eine leere Cognac-Flasche stand auf dem Tisch. Das Blut vom Teppich aufgesaugt und mittlerweile geronnen. Der Körper fühlte sich noch warm an. Der Arzt stellte sich neben sie und die schwarze Tasche auf den Dreisitzer.
»Er ist noch nicht lange tot«, sagte die Kommissarin, »er fühlt sich noch warm an.«
»Da muss wohl jemand ein bisschen sauer auf den werten Herrn gewesen sein«, bemerkte Hellmer in seiner typisch trockenen Art. »Was hältst du davon?«
Statt auf die Frage zu antworten, sagte sie: »Hat mal einer ’ne Pinzette?«
»Wenn Sie mich mal lassen, dann kann ich Ihnen gleich sagen, wie lange er in etwa tot ist«, meldete sich der Arzt zu Wort.
»Warten Sie bitte noch einen Moment.«
Ein junger Mann von der Spurensicherung reichte ihr eine Pinzette. Sie holte eine der Kugeln aus der Rückenlehne des Sessels, in dem Wiesner gesessen hatte, und betrachtete sie eingehend.
»Vollmantel. Könnte ’ne 22er sein. Es hat ihn voll erwischt. So wie das aussieht, waren mindestens vier Schüsse tödlich. Der hatte keine Chance. Und jetzt dürfen Sie«, sagte sie zu dem Arzt, der seinen Koffer öffnete und ein Thermometer herausholte. Zwei Männer von der Spurensicherung zogen Wiesner die Hose und die Unterhose aus, der Arzt maß die Temperatur. Nach zwei Minuten sagte er nach einem Blick auf das Thermometer: »33,5 Grad. Der ist nicht länger als drei bis dreieinhalb Stunden tot. Wo soll die Leiche hingebracht werden?«
»In die Rechtsmedizin nach Frankfurt. Ich rufe selbst dort an. Von mir aus kann er abtransportiert werden.« Und an Hellmer gewandt: »Lass uns mal nach draußen gehen und mit Frau Wiesner sprechen.«
Bevor sie das taten, rief Durant in der Rechtsmedizin an und bat, den Autopsiebericht von Wiesner am Samstagvormittag auf dem Tisch zu haben.
Sophia Wiesner saß auf den Stufen und starrte vor sich hin. Sie murmelte etwas auf Italienisch. Julia Durant setzte sich neben sie.
»Frau Wiesner, kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Sophia Wiesner drehte den Kopf zur Kommissarin und sah sie an. »Was wollen Sie?«
»Das ist Ihr Haus, nehme ich an. Wann haben Sie ihn gefunden?«
»Weiß ich nicht mehr. Vor einer Stunde, vielleicht auch vor anderthalb. Welche Rolle spielt das noch?«
»Hat es einen besonderen Grund gegeben, weshalb Sie hierher gefahren sind?«
»Er ist nicht nach Hause gekommen. Er wollte spätestens um halb sechs zu Hause sein. Als er um sechs noch nicht da war, habe ich ihn angerufen. Jemand hat den Hörer abgenommen, aber als ich mich gemeldet habe, hat derjenige gleich wieder aufgelegt. Ich hab es danach noch zweimal versucht, aber dann ist keiner mehr rangegangen. Ich habe es auf seinem Handy probiert, doch da hat er sich auch nicht gemeldet. Ich habe noch ein bisschen gewartet, und als ich es vor Nervosität nicht mehr ausgehalten habe, habe ich mich ins Auto gesetzt und bin hergefahren.«
»Was hat Ihr Mann hier gemacht?«
»Er hat sich oft hierher zurückgezogen, wenn er seine Ruhe haben wollte.«
»Heute Mittag habe ich ihn noch auf der Beerdigung gesehen. Was hat er danach getan?«
»Wir waren mit meiner Schwägerin in Bad Soden essen, dann wollte er hierher fahren.«
»War er oft allein hier?«
»Höchstens einmal in der Woche. Er hatte einen sehr anstrengenden Beruf, und dieses Landhaus war sein Refugium. Hier hörte er Musik, arbeitete im Garten oder ruhte sich einfach bloß aus. Mein Gott, wer hat ihm das nur angetan? Erst Andreas, dann er«, sagte sie verzweifelt und mit theatralischer Geste. »Ich begreife das nicht. Thomas hat doch nie irgendjemandem etwas getan!«
»Hat er sich heute Mittag in irgendeiner Weise auffällig verhalten?«
»Nein. Er war wie immer. Ein Gentleman, wie er im Buche steht.«
»Hatte Ihr Mann Feinde?«
Sophia Wiesner sah die Kommissarin aus glühenden Augen an und schüttelte den Kopf. »Nein, Thomas hatte keine Feinde, das wüsste ich.« Und nach einer kurzen Pause: »Hat er leiden müssen?«
»Wie es aussieht, nicht.
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