Das Syndikat der Spinne
Und trotzdem muss ich Ihnen noch einmal die Frage stellen: Hatte er Feinde? Ich meine, seien wir ganz ehrlich, Ihr Mann war im Vorstand einer großen Bank. Da kommt es zwangsläufig hin und wieder zu Auseinandersetzungen. Hat er nie davon gesprochen?«
»Wenn ich es Ihnen doch sage, nein! Thomas war ein liebevoller Ehemann und Vater.«
»Aber manche Menschen verhalten sich im Beruf ganz anders als zu Hause. Entschuldigen Sie, doch das ist nun mal so. Gab es in letzter Zeit irgendwelche besonderen Vorkommnisse, die Sie sich nicht erklären können? Anonyme Anrufe, Anrufe, bei denen sich niemand gemeldet hat, Drohbriefe oder Ähnliches?«
»Tun Sie mir einen Gefallen, hören Sie auf mit diesen dummen Fragen. Finden Sie lieber den Mörder meines Mannes. Finden Sie bitte um Himmels willen den Mörder meines Mannes. Ich flehe Sie an.«
»Wir werden unser Bestes tun. Gut, dann wollen wir es fürs Erste dabei belassen. Sollte Ihnen doch noch etwas einfallen, rufen Sie an. Sie wissen ja, wie Sie uns erreichen können. Wir melden uns auf jeden Fall im Laufe des Wochenendes wieder bei Ihnen. Wir werden sicher noch einige Fragen haben.«
Julia Durant erhob sich und gab Hellmer ein Zeichen. Sie gingen um das Haus herum, wo sie ungestört sprechen konnten.
»Die redet einen Stuss zusammen. Ein Gentleman, wie er im Buche steht. Er hatte keine Feinde, er war ein liebevoller Ehemannund Vater. Die stellt ihn hin, als wäre er der liebe Gott persönlich gewesen. Wer’s glaubt!« Julia Durant zündete sich eine Zigarette an.
»Was hältst du überhaupt von diesem Mord?«, fragte Hellmer.
»Das weißt du doch selbst, oder?«, entgegnete sie grinsend.
»Sag du mir, ob ich richtig liege«, forderte Hellmer sie auf.
»Also gut. Erstens glaube ich nicht, dass das hier das Werk eines Auftragskillers war. Hier hat jemand seinen ganz persönlichen Hass an Wiesner ausgelassen. Das war kein Profi, hier waren Emotionen im Spiel. Dazu kommt, dass die andern Morde mit 9-mm-Patronen verübt wurden, hier wurde aber Kaliber .22 verwendet. Das schaut für mich ganz nach einem Racheakt aus. Die Frage ist, wofür hat sich dieser Jemand gerächt?«
»Genauso sehe ich das auch«, pflichtete Hellmer ihr bei. »Emotionen, Hass, Rache … Laskin?«
»Wie kommst du ausgerechnet auf Laskin?«, wollte Durant wissen.
»Angenommen, Wiesner hatte was mit der Puschkin. Laskin hat, nachdem du ihm das Foto von der Maric gezeigt hast, zwei und zwei zusammengezählt, und mit einem Mal ist ihm eingefallen, wo dieser Empfang stattgefunden hat, wo er die Maric gesehen hat. Er ist hergefahren und hat Wiesner kaltgemacht. Denk dran, Laskin ist Israeli und vermutlich heißblütig.«
»Sehr dünn, sehr, sehr dünn, deine Theorie. Aber das lässt sich ganz leicht nachprüfen. Wir fahren beide gemeinsam jetzt gleich zu Natascha und schauen nach, ob Laskin auch dort ist. Und dann frage ich Laskin, seit wann er bei Natascha ist und du stellst Natascha die gleiche Frage. Ich wette, er war’s nicht.«
»Und warum bist du dir da so sicher?«
»Weil mein Bauch mir das sagt. Und dem kann ich in der Regel ganz gut vertrauen.«
»Hast du vielleicht jemand anderen in Verdacht?«
»Gegenfrage: Was, wenn ich einen Verdacht hätte?«
»Das ist eine absolut bescheuerte Frage.«
»Finde ich nicht. Ich könnte mir zumindest etwas vorstellen«, entgegnete die Kommissarin mit vielsagendem Blick.
»Komm, rück schon raus mit der Sprache. Wen hast du in Verdacht?«
»Jemanden, der möglicherweise etwas über Wiesner herausgefunden hat, was denjenigen letztlich zu der Tat verleitet hat. Überleg mal ganz scharf, wer würde dir da einfallen? Es muss jemand sein, der dieses Haus kennt, jemand, der wusste, dass Wiesner sich heute hier aufhält, und …«
»Moment. Du meinst doch nicht etwa jemanden aus dem engeren Verwandtenkreis, oder?«
»Und wenn?«
»Dann müssen wir sie verhaften.«
»Und wenn ich das nicht tun würde?«
»Sag mal, drehst du jetzt völlig durch?! Wenn sie es war, dann müssen wir sie verhaften. Hier handelt es sich nicht um einen lächerlichen Einbruch, sondern um Mord.«
»Sicher ist es Mord. Trotzdem, es wäre viel zu gefährlich, sie zu verhaften. Nehmen wir mal an, Thomas Wiesner war alles andere als ein Unschuldslamm. Er war im Vorstand einer mächtigen Bank. Wir haben es mit organisiertem Verbrechen und, diesen Wiesner hier ausgenommen, mit neun Toten, darunter seinem Bruder, zu tun. Was, wenn er an dem Tod seines Bruders nicht ganz unschuldig
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