Das Syndikat der Spinne
Tagen. Was hast du mir doch gleich erzählt. Du und Andreas, ihr beide hättet in letzter Zeit wieder stärker zueinander gefunden. Das war eine Lüge, die ich sofort durchschaut habe. Andreas hätte es mir irgendwann gesagt, du und Sophia, ihr hättet euch öfter als nur ein- oder zweimal im Jahr bei uns blicken lassen, und ihr hättet den Kindern die Geschenke zum Geburtstag persönlich vorbeigebracht, wie wir das bei euren Kindern gemacht haben. Aber nichts von alledem. Es hat nie ein herzliches Verhältnis zwischen uns gegeben, weder zwischen dir und Andreas noch zwischen mir und deiner lieben Frau. Aber seit Andreas tot ist, seid ihr auf einmal so rührend um mich besorgt. Ramona hier und Ramona da. Du bist jederzeit herzlich willkommen. Wie rührend!« Sie stieß die eingeatmete Luft verächtlichaus und fuhr fort: »Weiß Sophia eigentlich von deinen miesen Geschäften?«
Schweigen.
»Macht nichts, ich werde es schon noch herauskriegen. Um aber noch mal auf diesen Pierre zurückzukommen. Wie hast du den Kontakt zu ihm hergestellt?«
»Finde es doch heraus, du bist ja so unglaublich schlau«, erwiderte er mit plötzlich arrogantem Grinsen.
»Hast du nicht eben gesagt, du willst nicht sterben. Noch eine solche Bemerkung, und du bist tot. Und ich möchte wetten, es wird eine riesige Beerdigung sein, die sie für dich veranstalten. Für dich, den großen Banker. Alle werden um dich weinen, und sie werden beklagen, was für ein großer Verlust dein Tod doch ist. Aber irgendwann wird die Welt erfahren, was für ein Schwein du warst. Also, wie hast du den Kontakt hergestellt?«
»Ich habe ihn angerufen, und er ist gekommen. Ganz einfach.«
»Dann kannst du mir ja sicher auch seine Nummer geben. Ich würde den Mann gerne kennen lernen, der Andreas auf dem Gewissen hat. Und ich glaube fast, diese Frau Puschkin war genauso unschuldig wie Andreas. Aber warum nur musste er sterben? Hm, mir fällt dazu eigentlich nur eines ein – er wollte aussteigen und zur Polizei gehen, aber du bist irgendwie dahinter gekommen. Mit wem steckst du unter einer Decke? Warum habt ihr versucht Andreas zu ruinieren? Es war zugegebenermaßen ein schlauer Plan, aber ich erkenne trotzdem nicht den Grund, warum ausgerechnet Andreas dran glauben musste. Warum?«
»Sie haben mich selbst unter Druck gesetzt«, sagte Wiesner auf einmal und schenkte sich das Glas voll, bis kein Cognac mehr in der Flasche war. Er setzte es an und trank die braune Flüssigkeit, als wäre es Wasser. Er rülpste leise und fuhr sich mit einer Hand über den Mund. Der ganze Raum stank nach Alkohol. Ramona Wiesner sah ihren Schwager angewidert an.
»Warum musste Andreas sterben?«, fragte sie dennoch ruhig.
»Sie haben mich gezwungen, es zu tun«, winselte er. »Ramona,bitte, du musst mir glauben. Hätte ich es nicht getan, hätten sie mich und meine Familie umgebracht, das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist.«
»Komm, als ob dir irgendwas heilig wäre. Das ist wirklich eine herzzerreißende Geschichte, nur leider nehm ich sie dir nicht ab. Dein Lügengebilde wird immer größer, ich glaube fast, du kannst Lüge und Wahrheit schon gar nicht mehr voneinander unterscheiden. Außerdem glaube ich einem Säufer wie dir sowieso nichts.«
Er winkte ab und schrie lallend: »Weißt du was, es ist mir scheißegal, ob du es glaubst oder nicht! Es ist mir so was von scheißegal! Mach doch, was du willst, du alte Fotze, du!«
Ramona Wiesner sah ihn nach diesen Worten nur an, hob die Waffe, zielte und drückte ab. Der erste Schuss traf ihn in den Bauch, der zweite in die Brust, der dritte in den Kopf. Sie stand auf und schoss das ganze Magazin leer. Thomas Wiesner lag auf dem Boden, ein paar letzte Zuckungen rasten durch seinen Körper, eine riesige Blutlache begann sich über den Teppich auszubreiten.
Ramona Wiesner steckte die Waffe ein, nahm den Aktenkoffer von Thomas Wiesner, warf einen letzten Blick auf den Toten und wollte gerade das Haus verlassen, als das Telefon klingelte. Sie überlegte einen Moment, ließ es ein paarmal klingeln und nahm dann den Hörer ab, ohne etwas zu sagen. Es war Sophia. Sie legte gleich wieder auf und verließ das Haus.
Ein kühler Westwind fegte übers Land, dunkle Wolken zogen heran und brachten hoffentlich den ersehnten Regen. Sie stieg in ihren Wagen, startete den Motor und wendete. Niemand sah sie, als sie die Straße entlangfuhr und schließlich rechts auf die Schnellstraße abbog. In ihrem Kopf war nichts als Leere. Sie fuhr
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