Das Syndikat der Spinne
einen kompletten Satz Schlüssel in die Hand, bedankte sich noch einmal und brachte ihn zur Tür.
»Ich melde mich bei Ihnen in etwa einem Monat. Aber lassen Sie sich ruhig Zeit, ich habe etwas Geld im Ausland deponiert, von dem die nichts wissen und wovon wir gut ein Jahr leben können.«
»Viel Glück, Dr. Andrejew«, sagte Schulze, nickte ihm ein letztes Mal zu und verließ das Haus. Er begab sich zu seinem Wagen, stieg ein, fuhr die Anhöhe hoch und wendete. Er bemerkte nicht das Auto am Straßenrand, in dem ein Mann saß, der scheinbar auf jemanden wartete, ihn aber in Wirklichkeit aufmerksam beobachtete.
Der Mann rührte sich nicht von der Stelle, bis Schulze an der Ampel rechts abbog, startete den Motor und hielt vor dem Haus von Andrejew. Er schaute auf die Uhr und beschloss, noch ein paar Sekunden verstreichen zu lassen. Dann stieg er aus, ging auf das Haus zu und klingelte. Andrejew kam heraus, sah den Besucher und lächelte.
»Guten Abend, was für eine Überraschung. Wir haben uns ja lange nicht gesehen.«
»Ich habe gerade in Frankfurt zu tun, mich plagen furchtbareSchmerzen rechts oben an einem Backenzahn, und ich weiß nicht, wo ich mich heute noch hinwenden kann.«
»Kommen Sie erst mal rein«, sagte Andrejew. »Ich habe aber nicht viel Zeit, ich muss noch einmal weg. Doch wenn Sie wollen, können Sie hinter mir herfahren, denn ich hatte auch vor, kurz in der Praxis vorbeizuschauen. Bei der Gelegenheit könnte ich einen Blick auf ihren Zahn werfen.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Zahnschmerzen können die Hölle auf Erden sein«, erwiderte der Besucher und betrat hinter Andrejew das Haus. Er schloss die Tür leise hinter sich und folgte Andrejew ins Wohnzimmer.
»Nehmen Sie einen Moment Platz, ich hole nur schnell meine Schlüssel.« Andrejew drehte sich um und ging zum Sekretär, als der Besucher leise sagte: »Dr. Andrejew, schauen Sie hierher, Sie brauchen keine Schlüssel mehr.«
Andrejew drehte sich um und blickte den Mann mit ungläubigem Staunen an. Bevor er etwas sagen konnte, fiel er, von zwei fast lautlosen Schüssen getroffen, zu Boden. Pierre Doux ging durch das Haus, öffnete jede Tür im Erdgeschoss und begab sich anschließend in den ersten Stock. Sie waren alle zu Hause.
Mittwoch, 18.30 Uhr
Ramona Wiesner hatte den Tag damit verbracht, die Vorbereitungen für die Beerdigung zu treffen, hatte in einem Restaurant eine Kleinigkeit gegessen und war ein wenig in dem direkt an den Friedhof angrenzenden Höchster Stadtpark spazieren gegangen. Auf diesem Friedhof lagen schon drei Generationen der Wiesners, und es war selbstverständlich, dass auch ihr Mann Andreas dort beigesetzt wurde.
Nachdem ihre Füße zu schmerzen begannen, ließ sie sich im Park auf einer Bank am Weiher nieder, beobachtete die Enten und Schwäne und begab sich mit langsamen Schritten, denn schnellewaren bei dieser drückenden Schwüle nicht ratsam, um achtzehn Uhr zu ihrem Auto. Sie beschloss kurzerhand zu ihrem Schwager zu fahren. Ihr ging sein Besuch von gestern nicht mehr aus dem Kopf, und sie hatte sich ein ums andere Mal nicht nur gefragt, sondern fast schon das Hirn zermartert, was wirklich dahinter gesteckt hatte. Und je länger sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zu dem Schluss, dass der Gedanke, den sie anfangs als perfide abgetan hatte, vielleicht doch nicht so perfide war. Wenn Thomas sich, wie er sagte, mit seinem Bruder seit einiger Zeit recht gut verstanden hatte, warum hatte sie dann nichts davon gewusst? Andreas hätte sie das mit Sicherheit wissen lassen, man hätte sich öfter als in der Vergangenheit gesehen, hätte vielleicht mal etwas zusammen unternommen, aber es hatte in letzter Zeit nicht einmal ein Telefongespräch gegeben, erst nach dem Tod von Andreas, und zum letzten Geburtstag von Tanja, die vier geworden war, waren Thomas und Sophia gar nicht erschienen, sondern hatten nur ein Geschenk vom Chauffeur vorbeibringen lassen.
Nein, sagte sich Ramona Wiesner, Thomas hat gelogen. Aber warum? Und hatte er wirklich einen Auftrag über ein Collier erteilt? Und wenn nicht, nach was für Unterlagen hatte er gesucht? Sie wollte es herausfinden, sie musste einfach Klarheit darüber haben, ob ihr Gefühl richtig war oder ihr einen Streich spielte und sie Gespenster sah, wo gar keine waren.
Es war fast neunzehn Uhr, als sie bei Thomas und Sophia Wiesner ankam. Sie hatte sich nicht angemeldet, war aufs Geratewohl hingefahren. Beide Autos standen vor der Garage, der
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