Das Syndikat
ging vom Gas, damit der Wagen nicht aus der Kurve geschleudert wurde, dann raste er weiter.
»Sie haben meine Tochter!« Sie schlug auf ihn ein, aber er ließ das Steuer nicht los, immer weiter, geradeaus, dann nach rechts. Es fühlte sich gut an. Weiter, nicht stehen bleiben, es gibt noch eine Chance! Und er dachte an die Uniform und die Jeeps und an diese Männer, die ihr Leben riskierten. Er konnte das auch!
»Sind Sie noch hinter uns?«, fragte er.
»Ja! Ja, natürlich! Sie fahren uns in den Tod!«, schrie sie.
»Nein, es ist unsere einzige Chance!« Und er glaubte daran.
Wieder riss er das Steuer herum, streifte den Bordstein, der Wagen hüpfte, neigte sich gefährlich, er musste irgendwo draufgefahren sein, aber egal, nur nicht stehen bleiben ...
»Sie bringen uns um!«, schrie sie wieder und schlug die Hände vors Gesicht. Die Nächste rechts, dann links, geradeaus war ein Parkhaus.
»Ins Parkhaus? Sie sind verrückt!«, schrie sie, als der Wagen durch die Schranke brach. Was für ein Krachen! Das kannte er nur aus Filmen! »Und, kommen Sie hinter uns her?«, fragte er.
»Ja! Sie kriegen uns!«
»Nein!« Er raste die Rampe hinauf bis in die erste Etage. Und dann begriff er. Es war wie in seinem Albtraum, die grauen Betonwände, die gewundene Rampe, die grellen Streiflichter der Neonleuchten, dabei war er noch nie in diesem Parkhaus gewesen. Noch nie, und trotzdem kannte er es. Déjà-vu – ja, er glaubte nur, es zu kennen, aber egal, er kannte es – der Wagen schraubte sich höher, immer höher hinauf, Etage um Etage. Je höher er kam, desto weniger Autos parkten dort, diese Etage war fast leer, er raste quer übers Deck, so wie im Traum, er ließ das Steuer los, so wie im Traum, er war in seinem eigenen Traum angekommen, es gab kein Entrinnen, dieser Traum war sein Schicksal, all die Jahre hatte er die Ahnung von seinem Tod in sich getragen, jetzt würde diese Ahnung sich vollenden, er sah die Nacht auf sich zufliegen, gleich würde der Wagen die Mauer durchbrechen und in die Tiefe stürzen ... Der Pilot mit der Ray-Ban-Brille fiel ihm ein, was würde der jetzt wohl tun ...? Cortot riss das Steuer herum, der Wagen schleuderte nach links, schoss auf eine dunkle Öffnung zu, auf die Rampe, die nach unten führte, der Wagen jagte hinunter, die Karosserie sprühte Funken an der Betonwand, Metall kreischte, Reifen quietschten, der Motor heulte, Peyroux schrie, und er begriff, dass noch immer er es war, der den Wagen lenkte, er, er, er, dann waren sie wieder auf der Straße, er konnte es kaum glauben, sie waren draußen. Er lenkte den Wagen gleich wieder nach rechts, durch die Unterführung hindurch, bog danach wieder rechts ab, sie mussten für einen Moment verschwinden, abtauchen, aufhören zu existieren, tot sein ...
Im Schutz eines Hausschattens hielt er an und stellte den Motor ab.
»Sind ...!«
»Psst! Runter!«
Es war wirklich. Wirklich, wirklich, wirklich. Er hatte es geschafft!
»Haben wir sie abgehängt?«, fragte sie schließlich.
Kein Motorengeräusch. »Sieht so aus.«
»Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Und wenn sie einen Sender an unseren Wagen angebracht haben?«, fuhr sie auf. Ihr Haar klebte ihr auf der Stirn, ihre Stimme zitterte. »Sie haben Linh!«, sagte sie schrill. »Kapieren Sie? Sie werden sie umbringen! Wir müssen sofort zurück zu diesen Leuten!« Schon begann sie am Lenkrad herumzufummeln.
»Warten Sie!« Er packte sie am Handgelenk.
»Nein! Ich denke überhaupt nicht daran! Geben Sie mir den Schlüssel!« Wieder schlug sie auf ihn ein.
»Lan, bitte, hören Sie mir erst mal zu, bitte!« Er hielt ihre Fäuste fest.
Sie hörte auf und sah ihn an, irgendwie ausdruckslos.
»Gut«, sagte er ruhig, »sehr gut.« Er lockerte den Griff, ließ sie schließlich los und wunderte sich, dass sie sich nicht mehr wehrte. In diesem Augenblick drang eine lächerlich lustige Melodie aus dem Handy. Noch nie war sie ihm so lächerlich vorgekommen.
»Was sollte das denn?«, sagte eine Stimme aus seinem Handy. Sie musste einem der Kidnapper gehören. Bevor sie ihm das Handy aus der Hand reißen konnte, sagte Cortot: »Jetzt machen wir den Deal nach unseren Regeln.«
»Was soll das heißen?«
Die ganze Zeit im Parkhaus hatte er keine Angst gespürt, auch dann nicht, als die Mauer auf ihn zuraste. Im Gegenteil, eine tiefe Ruhe hatte ihn erfasst, er hätte sich beinahe in die Erfüllung seines Schicksals gefügt, doch offenbar gab es noch eine andere Kraft in ihm, eine, die
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