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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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nie so sehr geliebt wie er sie, das wurde ihr klar, und sie fühlte sich schlecht dabei. Als hätte sie ihn immerzu betrogen. Karen, bist du nicht zu hart mit dir? Und überhaupt, lass diese verfluchte Grübelei und sieh zu, dass du hier rauskommst, solange noch Zeit ist. Wer weiß, was sie mit dir vorhaben.
    Durch das Scheuern am Stuhlbein war die andere Frau zu sich gekommen. Wahrscheinlich Cortots Frau. Sie hatte Karen bemerkt und wollte etwas sagen, doch es drang nur ein ersticktes Stöhnen durch das breite Klebeband. In ihrem Blick lagen Entsetzen und Panik. Erst als sie offenbar begriff, dass außer ihnen niemand in der Wohnung war, wirkte sie beruhigter.
    Und jetzt?, fragte ihr Blick.
    Karen sah sich um. Sie musste zu einer Wand rollen und sich dort aufrichten, in der Küche waren bestimmt Messer. In die Küche also, und zwar schnell. Vielleicht wollte der, wer immer es auch gewesen war, zurückkommen.

62
    Brüssel
    Place Stéphanie im Brüsseler Stadtteil Ixelles. Großzügige, gepflegte hundertvierzig Quadratmeter im zweiten Stock eines restaurierten Altbaus. So hätte es in einer Immobilienanzeige stehen können. Nicht schlecht für einen alleinstehenden Oberst, der fast nie zu Hause ist, dachte Anna Scarafia und betrat hinter Fabio Grévys Wohnung, deren Versiegelung er gerade geöffnet hatte. Parkettböden, weiße Wände. Und der Geruch nach Waschmittel. Wohnlich würde sie die Atmosphäre nicht nennen, eher kalt.
    »Seine Frau ist vor fünf Jahren gestorben«, erklärte Fabio, »aber das weißt du sicher.«
    Anna nickte und betrachtete die schmale Glasvitrine neben dem zierlichen Sekretär.
    »Woher hat er die ganzen Orden?«
    »Von ebay vielleicht«, meinte Fabio und las: » Volontariis Patria Memor 1914–1918 , hm, ein Orden für Freiwillige im Ersten Weltkrieg.«
    » 1940–1945 «, las Anna, »steht auf dem hier, die Kopfbedeckung sieht afrikanisch aus. Und hier?« Sie betrachtete den Bronzeorden mit dem Band in den belgischen Nationalfarben. » Loyauté et Dévouement ... Loyalität und Ergebenheit ...«
    »Eine Auszeichnung für die belgischen Soldaten in Belgisch-Kongo«, bemerkte Fabio. »Grévy hatte es wohl mit unserer nicht gerade löblichen Kolonialzeit.« Er schüttelte den Kopf. »Zehn Millionen Tote, das muss man sich mal vorstellen.«
    Sie sahen sich auch in den anderen beiden Räumen um. Überall herrschte peinliche Ordnung. Soldatisch eben.
    Ernüchtert und bedrückt verließ Anna die Wohnung. Die am Nachmittag noch als so verlockend empfundene Aussicht auf die Nacht erschien ihr auf einmal absurd.
    »Enttäuscht?«, fragte er, während sie hinuntergingen. »Hast du auf ein Geheimnis gehofft?«
    »Irgendeine entsetzliche Enthüllung, ehrlich gesagt, aber«, sie seufzte und dachte an die Orden, »aber dann ist da nur der ganz normale, durchschnittliche Rassismus.«
    Er hielt ihr die Haustür auf. »Du bekommst nie genug, oder?«
    Sie antwortete nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass man für einen leidenschaftlichen Kampf auch einen leidenschaftlichen Gegner brauchte?
    »Und jetzt?«, er blieb stehen und sah sie an, »was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«
    »Was schon, Fabio? Wir bringen ihn zu Ende, oder? Zu dir oder in mein Hotel?«
    Er schüttelte den Kopf und lächelte, wahrscheinlich erleichtert über ihre Direktheit, dachte sie.

63
    Grenoble
    Es schneite wieder. Auf der gewundenen Bergstraße waren sie mehrmals ins Rutschen gekommen. Lan krampfte ihre Hände um das Lenkrad. Sie hatten getauscht, sie musste etwas tun, sie ertrug es nicht mehr, einfach nur neben ihm zu sitzen. Feindselig und bedrohlich lauerte der dunkle Wald an den Abgründen, und am Himmel war noch nicht einmal der Mond zu sehen.
    Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, hämmerte ihr gegen die Schläfen, und wenn es für ein paar Schläge aussetzte, fühlte es sich noch schlimmer an. Die Vorstellung, was sie mit Linh machen würden – oder vielleicht schon gemacht hatten, versetzte sie in eine schreckliche Panik. »Wir kommen zu spät«, sagte sie, »wir haben zu lange gebraucht.«
    »Nein, wir kommen rechtzeitig«, sagte Cortot mit einer Ruhe, die sie bei ihm nicht kannte. »Da ist es schon.« Er zeigte auf die Haltebucht. Der Lieferwagen stand schon da, den anderen Wagen sah sie nicht. Ihre Hände waren eiskalt und zitterten, als sie sie vom Lenkrad nahm.
    Im Rückspiegel sah sie, wie die Türen des Lieferwagens aufgestoßen wurden – und in diesem Augenblick wusste sie, dass sie und Cortot sich

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