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Das Syndikat

Das Syndikat

Titel: Das Syndikat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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erschrecken, das ihr da entgegensah. Rote Nase und Wangen, verschmierter Lidschatten, nasse blonde Strähnen.
    Und ihr Blick erst. Sie versuchte ein Lächeln. Komm schon, Karen!
    Sie machte sich daran, zu retten, was zu retten war. Ein bisschen Puder, ein bisschen Lippenstift, Haare unter den Händetrockner halten, dann raus. Michael gab gerade ihre Mäntel ab, da kam schon eine ausgestreckte Hand auf sie zu.
    »Madame Burnett! Sie haben es geschafft! Aber wir haben sowieso keinen Moment daran gezweifelt! Kommen Sie! Wir bedauern es sehr, dass wir Ihnen kein besseres Wetter bestellt haben.« Er stellte sich als Jean-Michel Lamorinière vor, hager, mit der gebeugten Haltung vieler großer Menschen. Er gab sich offenbar Mühe, ihre Narbe zu übersehen, aber seine kurze Befangenheit entging ihr nicht. Nach siebenundzwanzig Jahren hatte sie sich an die Reaktion ihrer Mitmenschen gewöhnt, aber seit Afghanistan spürte sie die Narbe wieder öfter, jeden der sechzehn Zentimeter, die vom Ende ihrer rechten Augenbraue in einer gebogenen Linie am Haaransatz entlang über die Wange bis zum Unterkiefer verliefen.
    Sie setzte ihr charmantes Lächeln auf und folgte Lamorinière in den Saal.

3
    Ganz schwarz gekleidet, die Mützen tief in die Stirn gezogen, waren die drei Männer im Dunkel des Wagens fast unsichtbar. Auch der Wagen selbst, eine drei Jahre alte dunkelblaue Peugeot-Limousine, fiel im nächtlichen Brüsseler Stadtverkehr nicht auf. Aber wer hätte auch schon vermutet, dass in der schwarzen Sporttasche auf dem Rücksitz keine Sportschuhe verstaut waren, sondern zwei Handgranaten?
    »Und du bist sicher, dass du das schaffst, wenn wir nicht schneller fahren als zwanzig?«, fragte Gilles vom Steuer aus und warf einen Blick über die Schulter nach hinten.
    Auch Gaddafi, der so genannt wurde, weil er angeblich eine gewisse Ähnlichkeit hatte mit dem Libyer vor dreißig Jahren – breites, flächiges Gesicht mit Pockennarben, die früher vollen schwarzen Haare kurz geschoren, aber die dunklen Augen mit demselben intensiven Brennen wie früher –, drehte sich zum Rücksitz um, sagte aber nichts.
    »He, ihr traut mir wohl gar nichts zu, was?«, gab Tiger Kaugummi kauend von hinten zurück.
    Nicht viel, hätte Gaddafi am liebsten geantwortet, aber er war Profi genug, um zu wissen, dass sie nur zusammen funktionieren würden. Und wenn dieser schlaksige Tiger auch nicht viel konnte – er war ein exzellenter Werfer. Gaddafi begriff nicht, wie man einen solch schmächtigen Typen mit dünnen Armen und Beinen und mit dem knochigen Pferdegesicht Tiger nennen konnte. Mücke wäre passender oder noch besser Arschloch , aber Tiger? Wahrscheinlich hat er sich den Namen selbst ausgesucht, dachte Gaddafi, eingebildet wie er ist.

4
    Karen fühlte sich auf ihrem Stuhl in der ersten Reihe des großen holzgetäfelten – und vollbesetzten – Saals, als wäre nur ihre körperliche Hülle anwesend. Stressbewältigung kannte sie: Dissoziation, die Distanzierung von sich selbst, das Sich-woandershin-Denken. Doch die Selbstanalyse half ihr heute nicht, noch eine Tablette war ihr zu riskant, sie war sowieso schon gestolpert und hatte sich an Lamorinières Arm festhalten müssen – und die Drinks gab es erst später, und dann auch nur Sekt und Orangensaft, fürchtete sie. Da vorne sprechen sie von dir, Karen , machte sie sich klar. Zuerst der Präsident des Presseverbands, dann der Pressevertreter der Bank. Sie hätte stolz sein können. Aber sie sehnte sich nach einem Drink und danach, unsichtbar zu werden, sich einfach aufzulösen.
    »Jeden Abend konnten wir im Fernsehen ihre Reportagen und Berichte über Afghanistan sehen. In vielen ihrer Reportagen hat sie sich den Schwachen gewidmet, insbesondere den verfolgten Frauen. Sie hat ihr Leben riskiert in Flüchtlingscamps im Sudan, hat eine tief bewegende Reportage über Frauen und Mädchen in Afghanistan verfasst und wurde dann selbst Opfer. Sie wurde gekidnappt, aber glücklicherweise nach drei Tagen freigelassen. Die Jury ehrt die Tochter der berühmten Journalistin Jane Burnett, Karen Burnett, für ihre engagierte, bewegende Reportage über die schrecklichen Verhältnisse im Flüchtlingscamp im griechischen Patras.«
    Na, jetzt haben sie dich doch erwähnt, Mom, zufrieden? Karen atmete tief durch, stand auf, ging zum Rednerpult, schaffte es, nicht zu stolpern, zitterte zwar, aber dann hielt sie endlich den Preis in der Hand, ein vergoldetes Papierknäuel. Ein Papierknäuel, weil in den

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