Das Tagebuch der Eleanor Druse
ausgerechnet im Kingdom Hospital erwacht war, dem Krankenhaus, das man über dem Ort errichtet hatte, an dem man ihr ihre »immer noch schwärenden Wunden« zugefügt hatte? Bestimmt hatte auch sie das kleine Mädchen gesehen, bevor sich diese Bestie von einem Menschen mit dem Eispickel an ihr zu schaffen gemacht hatte.
Genau, und deshalb hatte sie mir auch diese seltsame Nachricht zukommen lassen: »Das kleine Mädchen ist wieder im Reich der Lebenden. Es braucht unsere Hilfe.« Bevor sie das Mädchen in der Nacht ihres Todes wiedergesehen hatte, musste Madeline wohl angenommen haben, dass es damals in den Flammen umgekommen war. Daher auch ihre Worte:
»Das Feuer konnte ihm nichts anhaben.« Aber das kleine Mädchen, das ich im Schmerzraum gesehen hatte, war lediglich eine immaterielle Wesenheit und kein Mensch aus Fleisch und Blut gewesen. Und wie sollte eine solche bei einem Brand ums Leben kommen? Hatte Maddy vielleicht nicht gewusst, dass das Mädchen ein Geist war? Vielleicht hatte sie es ja auch nur weinen gehört und hatte nicht wie ich mitbekommen, dass es halb durchsichtig war und mit seinen Schreien das Krankenhaus in seinen Grundfesten erzittern lassen konnte.
Auch als Madeline starb, hatte es ein Erdbeben gegeben!
Vielleicht waren es auch in dieser Vollmondnacht des 13. Dezembers 2002 die Schreie des kleinen Mädchens gewesen, die es ausgelöst hatten. Vielleicht hatte es auch da wieder versucht, jemanden damit zu retten …
Das Läuten der Glocke! Auf einmal fiel mir wieder der Artikel im Sun Journal ein: »Defekte Liftglocke sorgt für Aufregung in Krankenhaus.« Das musste das kleine Mädchen gewesen sein.
Vielleicht wollte es Madeline retten. Oder jemand anderen?
Ich versuchte, mich an die vielen seltsamen Ereignisse dieses Freitags zu erinnern. Da war doch dieses Mädchen gewesen, das durch den Kunstfehler eines Arztes gestorben war. Egas hieß er, glaube ich. Der verkokste Kardiologe. Im Sun Journal war ein Foto von ihm und seinem Opfer. Theresa Bradley hieß die Kleine, die sterben musste, weil Egas bei der Operation nicht aufgepasst hatte. Hatte das kleine Mädchen versucht, diese Theresa zu retten? Warum muss ich, ein unschuldiges Kind, so schrecklich leiden? Diese Worte waren mir bei den unartikulierten Schreien, die ich im Aufzugschacht gehört hatte, in den Sinn gekommen. War es das Leid Unschuldiger hier im Kingdom, sein eigenes Leid also, das die Kleine aus ihrer Ruhe aufschreckte, oder das Leid anderer Kinder, die im Namen medizinischer Forschung und wissenschaftlichen Fortschritts gequält wurden? War es ein solches Leid gewesen, dessentwegen sich das Mädchen auf dem Pfad ins Jenseits verirrt hatte und das es jedes Mal, wenn etwas Ähnliches geschah, in das Reich der Lebenden zurückkehren ließ?
All diese Fragen mussten warten. Warum? Weil die medizinische Wissenschaft, die uns mit Leib und Seele in ihrem Würgegriff hält, unser armes, eingeschüchtertes Zeitalter auf eine beängstigende Art und Weise beherrscht. Ich hatte schlicht und einfach keine Zeit, Nachforschungen über spirituelle Dinge anzustellen, weil eine ganze Armee von Menschen in weißen Laborkitteln über mich herfiel, um meinen Hämoglobin-und Creatininspiegel festzustellen und eine Blutgasanalyse an mir vorzunehmen. Um zu erklären, was mit mir im Aufzug 2 passiert war, mussten mich diese spirituellen Tiefflieger durch die Mühle ihrer albernen Tests drehen, und wenn ich irgendwelche Einwände dagegen äußerte, drohte man mir damit, mich auf der Stelle nach Hause zu schicken.
Dr. Massingale meinte, dass diesmal keine teure Spezialdiagnostik vonnöten sei, und ließ mir lediglich meine kostbaren Körpersäfte für eine gründliche Untersuchung abzapfen. Schließlich schickte sie mich aber doch hinauf in die niegelnagelneue Magnetresonanz-Abteilung, wo man mich abermals in eine beige ausgekleidete, irgendwie an eine riesige Trockenhaube erinnernde Röhre steckte und eine Aufnahme von meinem Gehirn machte.
Die Hersteller dieser Geräte wissen genau, dass Menschen mit dem Verdacht auf eine lebensgefährliche Erkrankung zwanzig Minuten in dieser engen Röhre verbringen müssen und voll banger Gedanken darauf warten, nach der Untersuchung ihr medizinisches Schicksal verkündet zu bekommen. Da wäre es eigentlich passender, im Inneren des Apparats ein paar tröstende Worte anzubringen anstatt einer Metalltafel mit der Inschrift: SERIEN-NR. 4D617279204A656E73656E.
Nachdem die Aufnahmen gemacht waren, kam eine
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