Das Tagebuch der Eleanor Druse
funktionierten. Und dann sah ich rings um mich herum jede Menge medizinisches Gerät von Infusionen in sterilen Verpackungen bis hin zu einem tragbaren, piepsenden Monitor. Alles bereit für den Ernstfall, der glücklicherweise nicht eingetreten war. Eines der Geräte gab ein klingelndes Geräusch von sich, aber ich hörte noch etwas anderes: das Läuten einer Glocke, das von den Wänden des Krankenhauses widerhallte.
Jemand drückte mir eine Maske über Mund und Nase, aus der etwas strömte, das vermutlich Sauerstoff war. Es hörte sich an wie weit entferntes Donnergrollen … oder das Prasseln eines Feuers.
»Es wird alles wieder gut, Mrs. Druse«, sagte Dr. Hook.
Danny ging schnell zum Fußende der Trage, auf die man mich gelegt hatte, und Ollie nahm das Kopfende. Die beiden hoben mich vorsichtig an und legten mich auf eine Krankentrage, die sie neben mir schon bereitgestellt hatten.
Dann hörte ich, wie die beiden zählten: »Eins. Zwei. Drei.«
Bei Drei hoben sie die Trage gleichzeitig hoch und trugen mich aus dem Aufzug.
»Halt!«, sagte ich. »Wo sind meine Papiere? Meine Unterlagen!«
»Ich hab sie, Mom.«
»Bobby! Bist du das?«
Er hatte anscheinend vor dem Aufzug gewartet.
»Ich habe deine Papiere«, sagte er müde.
»Guter Junge, Bobby! Und das Diktiergerät? Wo ist das Diktiergerät?«
»Das habe ich auch, Mom«, sagte er. »Ich habe alles hier bei mir.«
»Ich bin so stolz auf meinen großen Jungen«, sagte ich. »Ich liebe dich, Bobby.«
»Ich liebe dich auch. Du hattest dir das Diktiergerät ans Ohr gepresst, als sie dich fanden, Mom. Wolltest du es abhören?«
»Ich weiß nicht, Bobby. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Pass gut auf die Unterlagen auf, Bobby. Bist du so lieb?«
»Wird gemacht, Mom, ich schließe sie in meinen Spind. Dort sind sie sicher.«
Gott hatte mich mit dem besten Sohn gesegnet, den man sich nur vorstellen konnte. Bobby war der Trost meines Alters, der Rettungsanker meines Lebens.
MEDIZINISCHER ABERGLAUBE
IN DEN KLAUEN DER MEDIZIN
ICH WOLLTE NUR EINES: Zurück auf mein Zimmer und dort die Papiere durchsehen, die mir Hilda Kruger in den Schoß geschleudert hatte. Ich wollte alles über diesen schrecklichen Dr. Gottreich und den Brand erfahren, und vielleicht fand ich dabei ja auch heraus, was dieses Scheusal der armen Madeline – Gott hab sie selig – angetan hatte. Jetzt, da meine Erinnerung an diese unaussprechlichen, undenkbaren Ereignisse wieder zurückgekehrt war, wurde mir klar, dass Gottreich in meinem Fall nur ein teilweiser Angriff auf eine Hälfte meines Gehirns gelungen war. Ganz offensichtlich hatte er es bei mir nicht geschafft, die weißen Easern zu durchtrennen, die meinen linken Stirnlappen mit dem Rest meines Gehirns verbanden, und hatte mir nur die kleine Narbe zugefügt, die Dr. Stegman auf den Aufnahmen in Boston entdeckt hatte. Die arme Madeline hatte es möglicherweise viel schlimmer erwischt, aber das würde ich nur erfahren, wenn sie irgendwelche Papiere hinterlassen hatte, aus denen hervorging, was ihr dieser Unmensch mit seinen brutalen Methoden angetan hatte. Viel schlimmer aber war die Erkenntnis, dass hier am Kingdom Hospital in der Grenzregion zwischen Leben und Tod nicht nur die verlorene Seele eines unschuldigen Mädchens umhergeisterte, sondern auch das Böse selbst. Dr. Rattentod konnte jederzeit wieder zuschlagen.
Um mich vor ihm zu schützen, hängte ich mir meinen Kristall und zusätzlich noch ein Kreuz um den Hals. Ich hatte Gottreich schon einmal getötet (und ihn dabei für alle Ewigkeit entstellt, wie man an der blassen, serpentinenförmigen Narbe auf der linken Seite seines gespenstischen Schädels erkennen konnte). Wenn es sein musste, würde ich es wieder tun, ganz gleich, ob mit einer natürlichen oder einer übernatürlichen Waffe.
Madeline hatte gewusst, dass ich Dr. Gottreich und seinen Schmerzraum, diesen Albtraum unserer Kindheit, völlig verdrängt hatte. »Gott hat Sally Druse mit einem sehr viel gnädigeren Gedächtnis gesegnet als mich, und deshalb will ich ihr nicht mit grausigen Erinnerungen ihren Seelenfrieden rauben.«
Gott segne dich auch, Maddy Kruger. Ganz eindeutig war es nicht ihre Absicht gewesen, mir mit diesen grausigen Erinnerungen meinen Seelenfrieden zu rauben, bevor sie diese Welt für immer verließ. Madeline hatte durch die Hintertür in das verborgene Haus des Todes einziehen wollen und es schließlich doch nur auf Umwegen geschafft. Was hatte sie wohl empfunden, als sie
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