Das Tal der Angst
daß sie lügen? Weil es sich um ein plumpes Truggewebe handelt, das einfach nicht wahr sein
kann.
Bedenken Sie doch! Laut dieser Geschichte, die man uns aufgetischt hat, hatte der Mörder nach der Tat weniger als eine Minute, um diesen Ring, der unter einem anderen Ring steckte, vom Finger des Toten zu ziehen, den anderen Ring wieder zurückzustecken – was er mit Sicherheit nie getan hätte – und diese eigenartige Karte neben sein Opfer zu legen. Ich behaupte, das ist schlicht unmöglich. Nun könnten Sie einwenden – aber das von Ihnen zu glauben, Watson, dafür achte ich Ihr Urteilsvermögen zu sehr –, daß man den Ring möglicherweise wegnahm, bevor der Mann getötet wurde. Die Tatsache, daß die Kerze nur kurze Zeit brannte, zeigt jedoch, daß nicht noch eine lange Unterredung stattgefunden hat. War denn Douglas, nach allem, was wir über seinen furchtlosen Charakter gehört haben, ein Mann, der so schnell seinen Ehering preisgibt, ja, dürfen wir annehmen, daß er ihn überhaupt preisgäbe? Nein, nein, Watson, der Mörder war mit dem Toten eine ganze Zeit lang bei brennender Lampe allein. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Offenbar war aber der Gewehrschuß die Todesursache. Folglich muß dieser Schuß etwas früher abgefeuert worden sein, als man uns erzählt hat. Man irrt sich nicht bei einer Sache wie dieser. Demnach haben wir es mit einem Komplott zu tun, ausgeheckt von den beiden Personen, die den Gewehrschuß gehört haben – dem Mann Barker und der Frau Douglas. Wenn ich darüber hinaus noch beweisen kann, daß die Blutspur auf dem Fenstersims von Barker vorsätzlich angebracht wurde, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, dann werden Sie zugeben, daß der Fall für ihn düstere Züge annimmt.
Nun müssen wir uns fragen, zu welcher Stunde sich der Mord tatsächlich ereignete. Bis halb elf waren die Dienstboten im Haus zu Gange, so daß er sicherlich nicht vor dieser Zeit geschehen ist. Um Viertel vor elf waren sie alle auf ihre Zimmer gegangen, mit Ausnahme von Ames, der sich in der Geschirrkammer aufhielt. Ich habe heute nachmittag, nachdem Sie uns verlassen hatten, einige Experimente angestellt und herausgefunden, daß kein Geräusch, das MacDonald im Arbeitszimmer erzeugte, bis zu mir in die Geschirrkammer durchdringen konnte, wenn alle Türen geschlossen waren. Anders jedoch steht es mit dem Zimmer der Haushälterin. Es liegt nicht so weit den Korridor hinunter, und von dort aus konnte ich eine sehr laut erhobene Stimme undeutlich hören. Das Geräusch einer Schrotflinte ist eher gedämpft, wenn sie in sehr geringer Entfernung zum Ziel abgefeuert wird, wie es in diesem Fall unzweifelhaft geschehen ist. Es war also vermutlich nicht sehr laut; aber in der Stille der Nacht hätte das Geräusch leicht bis zu Mrs. Allens Zimmer durchdringen müssen. Sie ist, wie sie uns erzählt hat, ein wenig taub; nichtsdestoweniger erwähnte sie jedoch bei ihrer Aussage, daß sie, eine halbe Stunde bevor Alarm gegeben wurde, so etwas wie das Schlagen einer Tür gehört habe. Eine halbe Stunde vor dem Alarm hieße: es war Viertel vor elf Ich hege keinen Zweifel, daß der Knall, den sie gehört hat, von dem Gewehr herrührte und daß dies der tatsächliche Zeitpunkt des Mordes war. Wenn das zutrifft, müssen wir nun ermitteln, was Mr. Barker und Mrs. Douglas – vorausgesetzt, sie sind tatsächlich nicht die Mörder – von Viertel vor elf, als das Geräusch des Gewehrschusses sie nach unten lockte, bis Viertel nach elf, als sie läuteten und das Personal herbeiriefen, gemacht haben könnten. Was haben sie gemacht, und warum gaben sie nicht sofort Alarm? Das ist die Frage, die sich uns stellt, und wenn wir die beantwortet haben, sind wir der Lösung unseres Problems gewiß ein gutes Stück nähergerückt.«
»Ich bin ebenfalls davon überzeugt«, sagte ich, »daß es zwischen diesen beiden eine Übereinkunft gibt. Sie muß ein herzloses Geschöpf sein, wenn sie wenige Stunden nach der Ermordung ihres Gatten dasitzen und über einen Scherz lachen kann.«
»Genau. Selbst in ihrer eigenen Darstellung der Ereignisse ist sie kein leuchtendes Beispiel einer Ehefrau. Wie Sie wissen, Watson, bin ich nicht gerade ein glühender Verehrer des weiblichen Geschlechts; meine Lebenserfahrung hat mir jedoch gezeigt, daß es nur wenige Frauen gibt, die sich durch die Worte irgendeines Menschen vom Leichnam ihres Mannes fernhalten lassen, wenn sie auch nur eine Spur von Achtung für ihren Gatten empfinden.
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