Das Tal der Angst
Sollte ich jemals heiraten, Watson, hoffe ich, meine Frau zu so viel Feingefühl zu inspirieren, daß sie sich nicht von einer Haushälterin fortführen läßt, wenn meine Leiche ein paar Yards von ihr entfernt liegt. Das war schlecht inszeniert; denn selbst dem grünsten aller Detektive muß das Ausbleiben des üblichen weiblichen Wehklagens auffallen. Selbst wenn es kein weiteres Indiz mehr gäbe, hätte mich allein schon dieser Umstand auf ein vorher abgesprochenes Komplott schließen lassen.«
»Für Sie ist es also ausgemacht, daß Barker und Mrs. Douglas des Mordes schuldig sind?«
»Sie haben eine schauderhaft direkte Art, Fragen zu stellen, Watson«, sagte Holmes, indem er mir mit der Pfeife drohte. »Die fliegen mir ja wie Gewehrkugeln um die Ohren. Wenn Sie es so drehen, daß Mrs. Douglas und Barker die Wahrheit über den Mord kennen und verabredet haben, sie zu verheimlichen, dann kann ich Ihnen geradeheraus antworten: Ja, dessen bin ich mir sicher. Aber Ihre tödlichere Variante ist nicht so klar zu beantworten. Lassen Sie uns einen Augenblick lang die Schwierigkeiten betrachten, die uns im Wege stehen.
Nehmen wir einmal an, daß dieses Pärchen durch die Bande einer verbotenen Liebe verknüpft ist und beschlossen hat, sich des Mannes, der dazwischen steht, zu entledigen. Das ist eine kühne Annahme, denn diskrete Erkundigungen bei der Dienerschaft und bei anderen konnten sie in keiner Hinsicht bestätigen. Im Gegenteil, viele bezeugen, daß das Ehepaar Douglas sehr aneinander hing.«
»Das kann nicht stimmen, da bin ich mir sicher«, sagte ich beim Gedanken an das schöne, lächelnde Gesicht im Garten.
»Nun, zumindest haben sie diesen Eindruck erweckt. Wie dem auch sei, wir wollen annehmen, daß es sich um ein außerordentlich durchtriebenes Pärchen handelt, das in diesem Punkt jedermann täuscht und die Ermordung des Ehegatten plant. Zufällig ist das ein Mann, über dessen Haupt eine Gefahr schwebt …«
»Das behaupten nur die beiden.«
Holmes blickte gedankenvoll drein.
»Ich verstehe, Watson. Sie entwerfen eine Theorie, nach der alles, was sie sagen, von Anfang an falsch ist. Ihrer Vorstellung zufolge hat es niemals irgendeine verborgene Drohung, noch einen Geheimbund, noch ein Tal der Angst, noch den Meister McIrgendwer, noch sonst etwas gegeben. Schön, das ist eine tüchtige, umfassende Verallgemeinerung. Wir wollen einmal sehen, wohin sie uns führt. Zur Erklärung des Verbrechens erfinden die beiden also diese Theorie. Um ihrem Einfall Substanz zu verleihen, lassen sie als Beweis für die Existenz eines Außenstehenden dieses Fahrrad im Park stehen. Der Fleck auf dem Fenstersims drückt die gleiche Absicht aus. Die Karte auf der Leiche ebenfalls; sie könnte im Haus präpariert worden sein. Dies alles paßt zu Ihrer Hypothese, Watson. Nun aber kommen wir zu den unangenehm gezackten, sperrigen Teilchen, die sich einfach nicht einfügen lassen. Warum von allen Waffen ausgerechnet eine abgesägte Schrotflinte – und dazu noch eine amerikanische? Wie hätten sie so sicher sein können, daß ihr Geräusch nicht jemanden herbeilocken würde? Wie die Dinge liegen, ist es reiner Zufall, daß Mrs. Allen sich nicht aufmachte, um dem Grund für das Zuschlagen der Tür nachzugehen. Wozu hat sich Ihr schuldbeladenes Pärchen all diese Umstände gemacht, Watson?«
»Ich gebe zu, das kann ich nicht erklären.«
»Und ferner: Wenn eine Frau und ihr Liebhaber planen, den Ehegatten zu ermorden; würden sie dann ihre Schuld noch groß anzeigen, indem sie ihm nach seinem Tod ostentativ den Ehering wegnehmen? Kommt Ihnen das sehr wahrscheinlich vor, Watson?«
»Nein, allerdings nicht.«
»Und noch etwas: Gesetzt den Fall, Ihnen käme der Gedanke, ein Fahrrad draußen zu verstecken; wäre dessen Ausführung auch nur die geringste Mühe wert, wenn doch absehbarerweise der dümmste Detektiv die Sache als eindeutiges Täuschungsmanöver bezeichnen würde, da nun mal sein Fahrrad das erste ist, was der Mann für die Flucht benötigte?«
»Ich finde keine Erklärung dafür.«
»Und doch sollte es keine Kombination von Ereignissen geben, für die der menschliche Scharfsinn nicht eine Erklärung fände. Lassen Sie mich, bloß als intellektuelle Übung und ohne einen Anspruch auf Wahrheit, einen möglichen Gedankengang verfolgen. Zugegeben, es ist reine Phantasie; aber wie oft ist nicht Phantasie die Mutter der Wahrheit?
Nehmen wir also an, daß es im Leben dieses Douglas ein strafwürdiges Geheimnis, ein
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