Das Tal der Angst
Kollegen schweigend zu.
Der Inspektor war vor Aufregung ganz außer sich. Sein Akzent ratterte wie ein Stock, der an einem Gitter entlanggezogen wird.
»Menschenskind!« rief er, »da gibt’s gar keinen Zweifel! Barker hat den Abdruck am Fenster einfach selber gemacht. Er ist viel breiter als jeder Stiefelabdruck. Ich weiß noch, wie Sie gesagt haben, es war’ ein Spreizfuß; da haben wir die Erklärung. Aber was soll das Spielchen, Mr. Holmes – was soll das Spielchen?«
»Ja, was soll das Spielchen?« wiederholte mein Freund gedankenvoll.
White Mason kicherte und rieb sich in beruflicher Genugtuung die fetten Hände.
»Ich hab ja gesagt, es sei ein Knaller!« rief er. »Und ein Knaller ist das ja nun wirklich!«
6. Ein Licht dämmert herauf
Die drei Detektive hatten noch vieles im Detail zu untersuchen, daher kehrte ich allein zu unserem bescheidenen Quartier im Dorfgasthof zurück; zuvor jedoch machte ich einen Spaziergang in dem merkwürdigen, altmodischen Garten, der an das Haus grenzte. Reihen uralter Eiben, zu seltsamen Formen zurechtgestutzt, umgürteten ihn. Innen befand sich, inmitten einer schönen Rasenfläche, eine alte Sonnenuhr; das Ganze war durch seine besänftigende und erholsame Wirkung meinen etwas überreizten Nerven hochwillkommen. In dieser zutiefst friedlichen Atmosphäre konnte man jenes düstere Arbeitszimmer mit der ausgestreckten, blutbefleckten Gestalt auf dem Boden vergessen oder sich ihrer nur wie eines phantastischen Albtraums erinnern. Aber als ich durch den Garten schlenderte und versuchte, meine Seele in seinen sanften Balsam zu tauchen, ereignete sich ein seltsamer Vorfall, der mich wieder an die Tragödie gemahnte und bei mir einen unguten Eindruck hinterließ.
Ich habe erwähnt, daß Eiben als Verzierung den Garten säumten. An seinem vom Haus entferntesten Ende verdichteten sie sich zu einer durchgehenden Hecke. Auf der anderen Seite dieser Hecke stand, verborgen für jedermann, der vom Haus darauf zuging, eine Steinbank. Als ich mich der Stelle näherte, vernahm ich Stimmen: eine Bemerkung in den tiefen Tönen eines Mannes, beantwortet vom leise perlenden Lachen einer Frau. Einen Augenblick später hatte ich das Ende der Hecke umrundet, und mein Blick fiel auf Mrs. Douglas und Barker, noch bevor sie meine Anwesenheit bemerkten. Der Anblick der Frau versetzte mir einen Schock. Im Eßzimmer war sie ernst und besonnen gewesen. Nun aber war jeder Anschein von Kummer von ihr abgefallen. Ihre Augen strahlten vor Lebenslust, und ihr Gesicht zuckte noch vor Erheiterung über eine Bemerkung ihres Gefährten. Er saß vornübergebeugt da, mit verschränkten Händen, die Unterarme auf die Knie gestützt; auf seinem kühnen, hübschen Gesicht lag ebenfalls ein Lächeln. Als sie mich erblickten, setzten sie augenblicklich – aber eben einen Augenblick zu spät – wieder ihre feierlichen Masken auf Sie wechselten noch ein oder zwei hastige Worte, dann erhob sich Barker und schritt auf mich zu.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er, »aber spreche ich mit Dr. Watson?«
Ich verneigte mich mit einer Kälte, die den Eindruck, den sie auf mich gemacht hatten, wohl unmißverständlich wiedergab.
»Wir haben uns gedacht, daß Sie es wohl sind, wo doch Ihre Freundschaft mit Mr. Sherlock Holmes so allgemein bekannt ist. Würde es Ihnen was ausmachen, herüberzukommen und einen Augenblick mit Mrs. Douglas zu sprechen?«
Ich folgte ihm mit starrer Miene. Im Geiste sah ich sehr deutlich die zerschmetterte Gestalt auf dem Fußboden. Und hier saßen, ein paar Stunden nach der Tragödie, die Frau des Toten und sein engster Freund lachend zusammen hinter einem Busch in dem Garten, der einmal ihm gehört hatte. Reserviert begrüßte ich die Lady. Im Eßzimmer hatte ihr Kummer mich bekümmert. Doch nun begegnete ich teilnahmslosen Auges ihrem flehendem Blick.
»Ich fürchte, Sie halten mich für gefühllos und hartherzig?« sagte sie.
Ich zuckte mit den Achseln.
»Das geht mich nichts an«, sagte ich.
»Eines Tages werden Sie mir vielleicht Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wenn Sie nur begreifen könnten …«
»Es gibt keinen zwingenden Grund, weshalb Dr. Watson etwas begreifen sollte«, sagte Barker rasch. »Wie er selbst gesagt hat, geht es ihn überhaupt nichts an.«
»Ganz recht«, sagte ich, »und somit bitte ich um die Erlaubnis, meinen Spaziergang fortzusetzen.«
»Einen Augenblick, Dr. Watson«, rief die Frau bittend. »Es gibt eine Frage, die Sie zuverlässiger beantworten
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