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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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durchatmend und blickten zurück.
    Es hatte aufgehört zu regnen, und die Wolken waren mit einem wäßrigen Glanz überzogen. Dreck haftete auf Kines Fell und an seinen Pfoten, den Kopf hielt er gesenkt. Er hob ihn sehr langsam, wobei er Kias Blick auswich. »Die Ratte hat Glück gehabt«, sagte er.
    »Ja«, antwortete Kia.
    Mit einer Willensanstrengung sah er ihr in die Augen und starrte sie unbeholfen an. »Und?« fragte er herausfordernd.
    Sie antwortete gelassen: »Ich hab’ nichts gesagt.«
3. Kapitel
    Im Februar kehrten die Saatkrähen aus ihren winterlichen Zufluchtsorten zu ihrem alten Brutplatz im Wald zurück, balgten und tummelten sich im Wind, uneinig in ihren werbenden Annäherungsversuchen. Das erstarkende Licht der Jahreszeit, das schimmernd auf die schwarzen Flügel schien, verdrängte allmählich das Halbdunkel der undurchdringlichen Dickichte, in denen die Efeubeeren raubenden Tauben genauso herumlärmten wie die Krähen. Eine lebhafte, aggressive Stimmung machte sich breit. In der Marsch klopften die polygamen Rammler kampflustig auf den Boden. Winzige Zaunkönige und große Misteldrosseln steckten ihr Revier ab. Der Winter hatte sich noch nicht ergeben, doch die bevorstehende Wandlung kündigte sich überall an; Getreide und Wildpflanzen überzogen die Hügel mit frischen, grünen Farbtönen.
    Die Verschwörung der Natur breitete sich rasch aus. Rebellische Nesseln wuchsen, wo Pfoten auftraten; Thymian und Huflattich krochen unter leblosem Laub hervor. In geschützten Winkeln schwebten Stechmücken und übten für das kommende Frühjahr. Noch waren die Äste der Eichen kahl, doch nicht mehr lange. Die Lebenskraft nahm zu, das Wieselfeuer entbrannte in Kines Blut. Kia war verschwunden. Seit einer Woche schon, und seltsamerweise war Kine darüber nicht erfreut. Ihr Geschwätz hatte ihn gelangweilt, doch die nun entstandene Stille verdroß ihn genauso. Noch mehr bedrückte ihn die Ratte, die Falle und Wiesel aus dem Weg ging und ihn lächerlich gemacht hatte.
    Kine kletterte in Wilderers Hecke und kauerte sich gereizt hin. Jeden Abend wartete er darauf, daß die Ratte eine falsche Bewegung machte. Einmal mußte es geschehen. Unterdessen beobachtete das Wiesel durch die Fenster hindurch seinen älteren Feind, Wilderer, der sich in seinem Wohnzimmer aufhielt. In dem Raum war es düster, die Möbelstücke zeigten sich staubig und vernachlässigt. Viele Dinge verrieten ihre Herkunft aus Kines Revier: Bretter aus dem Holz der Kastanie, die birkene Kiste, die Eschenscheite, die im Kamin herumlagen und unruhig schwelten. Der Tisch aus Kiefernholz am Fenster hatte früher einmal als Baum am Feldweg gestanden, ein stattliches Immergrün. Nun war seine rissige Oberfläche mit Schmutz überzogen.
    Wilderer saß, wie so oft, in dem Sessel, seitwärts zu dem Mädchen gewandt, das gerade den Raum betreten hatte, als Kine in den zwickenden Dornstrauch geklettert war. Das Mädchen trug Jeans und hatte eine Einkaufstasche dabei; ihre Begrüßung war kaum ansprechender als der finstere Blick des Mannes. Sie sagte: »Mein Vater hat mir erzählt, daß du arm bist. Ich habe einige Sachen mitgebracht. Mein Vater meinte, ich sollte dir etwas Ordentliches kochen.«
    Wilderers Gesicht war genauso düster, wie Kines es in Erinnerung hatte. Er sagte: »Ich kann selbst für mich sorgen. Der Wald wird mir meine Kraft zurückgeben. Mehr Hilfe brauche ich nicht.« Kines Meinung nach verdiente er auch nicht mehr, doch das Stirnrunzeln der Bauerntochter drückte nun Besorgnis aus. Sie legte die Tasche hin und sah zuerst auf den Plastikvorhang, der die Spülküche verdeckte, dann auf den geschwärzten Kochtopf. »Wann«, fragte sie, »hast du zum letztenmal eine warme Mahlzeit gehabt?«
    »Ich bin nicht hungrig.«
    Sie blickte in den Topf und verzog ihr Gesicht.
    »Bin nicht hungrig. Hab’ nicht darum gebeten, gestört zu werden, Mädchen.«
    Sie überhörte es, doch ihre Gesichtszüge waren hart, als sie den Raum genau betrachtete. »Na gut, mal sehen, was ich machen kann. Mein Gott, diese Unordnung!« Ihre Augen verengten sich. Seit langem unabgewaschenes Geschirr stapelte sich in einer Ecke, dazwischen lagen Gewehrreiniger und Munition. Ein hölzerner Kochlöffel war mit einer dicken, verhärteten Fettschicht überzogen. Der Raum glich einer spinnwebenbehangenen Höhle; die düsteren Schatten wurden durch die braune Färbung des Holzrauchs noch verstärkt, der mit der Zeit den Schornstein verdunkelt hatte, nun zu den

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