Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
Vom Netzwerk:
hausen lasse? Die Ratte muß verschwinden.« Er blickte in den Regen und schritt mit energischer Bestimmtheit vorwärts. »Ich meine nur, daß ich es nicht Wilderer zuliebe tue.«
    »Angenommen, sie verschwindet nicht?«
    »Wenn sie bleibt, wird sie den Todestanz miterleben.«
    »Dann aber Vorsicht!« murmelte Kia.
    Sie sprangen über die Pfützen auf dem Weg hinweg und erreichten Wilderers Hoftor. Es war altersschwach, das eine Scharnier lose. Kine lugte darunter hervor. Die Wände des Häuschens blätterten infolge der ständigen Südwestwinde schon ab; der Schornstein war durch den Vogelleim vieler Sommer streifig geworden. Im Frühjahr würden die Dohlen und Stare zurückkehren, um sich in der rußigen Gruft einzunisten. Jetzt kauerten nur Sperlinge, naß und beschmutzt, auf dem Dach oder suchten Zuflucht auf den Fenstersimsen, neben dunklen Scheiben. An einem Fenster hing eine düster schimmernde Silberkugel, die altem Glauben nach Hexen abwehren sollte.
    Kines Augen suchten den mit Unkraut überwachsenen Weg und die Reihen der schneckenzerfressenen Kohlpflanzen auf der einen Seite ab. An der Tür, wo Wilderer seine Stiefel gesäubert hatte, stand der Besen, an dem noch der Dreck haftete, und eine Schubkarre, die mit nassen Holzklötzen beladen war. Der Geruch von Rauch, der vom Regen heruntergedrückt wurde, deutete darauf hin, daß der Kamin brannte.
    »Wilderer ist drinnen.« Kine blickte Kia mißtrauisch an. »Wo sind die Spuren? Laß uns nachsehen, ob die Ratte zu Hause ist.«
    Sie führte ihn an der Hecke vorbei, durch verschlungenen Efeu und tropfende Dornensträucher hindurch, in den verwilderten Obstgarten, wo die Hühner herumliefen. Knorrige Apfelbäume und die spindeldürren Stämme der wilden Haferpflaume, umkrallt von einem jahrhundertealten Maulbeerbaum, zeichneten sich dunkel ab. Die Chiffren winterlicher Vernachlässigung waren überall zu lesen. Junge Triebe der Pflaumenbäume wuchsen aus dicken, verrottenden Grasbüscheln und zwischen den starren, abgestorbenen Stengeln des Wiesenkerbels hervor. Ein vermodernder, bemooster Holzkasten war mit glitzernden Spinnweben bespannt. Es war ein naßkalter, dumpfiger Ort. An der Stelle, wo die Hecke abgestorben und offen war, duckte sich die Wieselin und ließ ein tiefes Knurren hören.
    Kine sah die Fährte, durch die sie alarmiert worden war.
    »Da«, sagte Kia leise. »Wir müssen vorsichtig sein.«
    Kines Schwanz bewegte sich ruckartig hin und her. Er roch die Ratte, und die Kampflust wallte in ihm auf, der Blutrausch. Er bebte, erzitterte vor Feindseligkeit; seine Flanken zuckten, wo der Regen sein rotes Fell geglättet hatte. »Bleib hier«, sagte er zu ihr. »Ich werde sie suchen.«
    »Am besten gehen wir beide. Die Ratte ist groß und erfahren, und sie versteht zu kämpfen.«
    »Bleib hier!« Der Befehl klang bestimmt, und im nächsten Augenblick war Kine unterwegs, die Nase auf die Fährte gerichtet. Kia beobachtete ihn und war wegen ihrer Besorgnis um ein derart anmaßendes und eingebildetes Tier überrascht. Er legte mit seinem wogenden Körper einen schlangenförmigen Zwischenspurt ein, flink und entschlossen. Nasse Aronstabblätter und von Wühlmäusen aufgeworfene Erdklumpen verdeckten den Pfad und die Schwären an Wurzeln und Baumstümpfen. An einigen Stellen faulten die Schalen großer Äpfel; Fallobst, das Wilderer nicht aufgesammelt hatte. Während des Frostes hatte es viele Amseln und Mäuse am Leben erhalten; nun waren die Früchte ausgenommen und lediglich die Schalen liegengeblieben. Kine beachtete sie nicht.
    Besessen von dem Geruch, der von der Rattenfährte aufstieg, folgte das Wiesel seinem Witterungssinn; das Sehen war nun zweitrangig. Weder die Grasbüschel noch die Baumstämme, und auch den Hühnerstall vor ihm registrierte er kaum. Auch der Bogen, den der biegsame Ast bildete, entging seiner Aufmerksamkeit. Jeder Zwischenspurt verstärkte seinen Trieb, ließ seinen Blutpegel ansteigen, bis er seinen Kampfgesang an die ganze Welt anstimmte. Doch als Antwort ertönte dicht hinter ihm eine schrille Warnung: »Halt!« schrie Kia. »Die Schlinge! Bleib stehen, Kine!«
    Wenige Zentimeter vor seiner Nase glänzte der tödliche Draht der Galgenschlinge. Kine erschauerte. Er hatte sofort gehalten, seine Pfoten waren halb vergraben. Als Wilderer aus seinem Häuschen heraustrat, drehte sich Kine hastig um und folgte Kias fliehendem Schwanz durch die Hecke hindurch auf den darunterliegenden Feldweg. Dort erholten sie sich tief

Weitere Kostenlose Bücher