Das Tao der Physik
kleineren Umfangs ist vorstellbar. Jedes davon wäre
so erdacht, daß es nur einen Teil der Hadronenphysik umfaßt, und
würde daher einige unerklärte Parameter enthalten, die seine
Grenzen angeben, aber die Parameter des einen Modells könnten
von einem anderen erklärt werden. So könnten mehr und mehr
Hadronen-Phänomene stufenweise mit zunehmender Genauigkeit erfaßt werden, durch ein Mosaik ineinandergreifender
Modelle, deren Nettoanzahl an unerklärten Parametern ständig abnimmt. Die Bezeichnung »Bootstrap« eignet sich somit
nie für irgendein individuelles Modell, sondern kann nur auf
eine Kombination miteinander vereinbarer Modelle angewendet werden, von denen keines fundamentaler ist als das andere.
Wie Chew es ausdrückte:
Ein Physiker, der jede Anzahl von verschiedenen, teilweise erfolgreichen Modellen ansehen kann, ohne eines zu bevorzugen, ist
automatisch ein »Bootstrapper«. 16
Eine Anzahl von Teilchenmodellen dieser Art existiert bereits,
ein Hinweis darauf, daß das Bootstrap-Programm in einer nicht
allzu fernen Zukunft wahrscheinlich durchgeführt werden
wird. Was die Hadronen angeht, so bestand die größte Herausforderung für die S-Matrix-Theorie und den Bootstrap von Anfang an darin, die für die starken Wechselwirkungen so charakteristische Quark-Struktur zu erklären. Bis vor kurzem konnte
die Bootstrap-Methode diese auffallenden Regelmäßigkeiten
nicht erklären, was der Hauptgrund dafür war, daß sie in Kreisen der Physiker nicht besonders ernst genommen wurde. Die
meisten Physiker zogen es vor, mit dem Quarkmodell zu arbeiten, das zwar keine folgerichtige Erklärung, zumindest aber
eine phänomenologische Beschreibung lieferte. In den vergangenen sechs Jahren aber hat sich diese Situation auffallend geändert. 17
Das Bild von Hadronen, das aus diesen Bootstrap-Modellen
hervorgeht, wird oft in der provokativen Aussage: »Jedes Teilchen besteht aus allen anderen Teilchen« zusammengefaßt.
Man darf sich jedoch nicht vorstellen, daß jedes Hadron alle
anderen in einem klassischen statischen Sinn enthält. Sie »enthalten« sich nicht, sondern »verwickeln« sich ineinander im
Sinn von Dynamik und Wahrscheinlichkeit der S-MatrixTheorie: Jedes Hadron ist ein potentieller »gebundener Zustand« aller Gruppen von Teilchen, die wechselweise aufeinander wirken können, um das betrachtete Hadron zu bilden
(vgl. S. 265). In diesem Sinn sind alle Hadronen zusammengesetzte Strukturen, deren Bestandteile wieder Hadronen sind,
und keines davon ist elementarer als die anderen. Die Strukturen zusammenhaltenden
Bindungskräfte
manifestieren
sich
durch den Austausch von Teilchen, und diese ausgetauschten
Teilchen sind wieder Hadronen. Jedes Hadron spielt daher drei
Rollen: Es ist eine zusammengesetzte Struktur, es kann Bestandteil eines anderen Hadrons sein, und es kann zwischen Bestandteilen ausgetauscht werden und somit einen Teil der
Kräfte darstellen, die eine Struktur zusammenhalten. Der Begriff des »Crossing« ist für dieses Bild entscheidend. Jedes Hadron wird durch Kräfte zusammengehalten, die mit dem Austausch anderer Hadronen im gekreuzten Kanal in Bezug stehen, und jedes ausgetauschte Hadron wird wiederum von Kräften zusammengehalten, zu denen das erste Hadron beisteuert.
So »hilft jedes Teilchen, andere Teilchen zu erzeugen, die wiederum es selbst erzeugen«. 18 Die ganze Gruppe von Hadronen
erzeugt sich auf diese Weise selbst oder zieht sich sozusagen an
seinen »Bootstraps« (Stiefelschlaufen) hoch. Dieser äußerst
komplexe Bootstrap-Mechanismus bestimmt sich selbst, das
heißt, er kann nur auf eine Weise erfolgen. Mit anderen Worten, es gibt nur eine mögliche, in sich stimmige Gruppe von Hadronen - nämlich die, die man in der Natur findet.
Im Hadronen-Bootstrap setzen sich alle Teilchen dynamisch
auf selbstkonsistente Weise gegenseitig zusammen, und in diesem Sinn »enthalten« sie einander. Im Mahayana-Buddhismus
wird eine sehr ähnliche Auffassung auf das ganze Universum
angewendet. Dieses kosmische
Netzwerk
sich
gegenseitig
durchdringender Dinge und Vorgänge wird im AvatamsakaSutra durch die Metapher von Indras Netz dargestellt, das Sir
Charles Eliot folgendermaßen beschreibt:
Im Himmel Indras, so sagt man, hängt ein Netzwerk von Perlen so
angeordnet, daß du beim Anblick einer Perle alle anderen in dieser
widergespiegelt siehst. Genauso ist jeder Gegenstand in der Welt
nicht bloß er selbst, sondern ein Teil jedes anderen, er ist in Wirklichkeit alles andere. In jedem
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