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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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stimmig
und widerspruchsfrei sein würde. In gewisser Weise sind die
Forderung der Stimmigkeit, als Basis der Bootstrap-Hypothese, und die Einheit und die Wechselbeziehung aller Phänomene, die in der östlichen Mystik so stark betont werden, lediglich verschiedene Aspekte derselben Idee. Diese enge Verbindung wird am klarsten im Taoismus ausgedrückt. Für den taoistischen Weisen waren alle Phänomene der Welt ein Teil des
kosmischen Weges, des Tao, und die Gesetze, denen das Tao
folgt, wurden von keinem göttlichen Gesetzgeber statuiert,
sondern sind in ihrer Natur angelegt. So heißt es im Tao Te
Ching:
Der Mensch folgt den Gesetzen der Erde;
Die Erde folgt den Gesetzen des Himmels; Der Himmel folgt den Gesetzen des Tao;
4 Das Tao folgt den Gesetzen seiner inneren Natur.
    Joseph Needham erläutert in seiner gründlichen Studie über
die chinesische Wissenschaft und Zivilisation ausführlich, wie
der westliche Begriff der
fundamentalen Naturgesetze, ur
    sprünglich abgeleitet von der Vorstellung eines göttlichen Gesetzgebers, in der chinesischen Gedankenwelt kein Gegenstück
hat. »Nach der chinesischen Weltanschauung«, schreibt Needham, »entspringt der harmonische Zusammenklang aller Daseinsformen nicht aus den Anordnungen einer höheren Autorität von außen, sondern aus der Tatsache, daß sie alle Teil einer
Hierarchie von Ganzheiten sind, die eine kosmische Struktur
bilden und dem inneren Diktat ihrer eigenen Natur gehorchen.« 5
    Nach Needham hatten die Chinesen nicht einmal ein Wort,
das dem klassischen westlichen Begriff »Naturgesetz«
entspricht. Der Ausdruck, der dem am nächsten kommt, ist »Li«,
das der neokonfuzianische Philosoph Chu Hsi als »die zahllosen Muster, die wie Adern das Tao durchziehen«, beschreibt. 6 Needham übersetzt »Li« als »Organisationsprinzip« und gibt
folgenden Kommentar:
    Seine älteste Bedeutung ist »das Muster in den Dingen«, die Maserung im Jade oder die Fasern der Muskeln . . . Es bekam die gewöhnliche lexikalische Bedeutung »Prinzip«, aber bewahrte immer
den Unterton von »Struktur« . . . Darin liegt auch »Gesetz«, aber
dieses ist das Gesetz, dem die Teile von Ganzheiten gehorchen müssen, eben weil sie Teil des Ganzen sind . . . Das wichtigste bei Teilen
ist, daß sie sich, zusammen mit den anderen Teilen, genau im ganzen
Organismus, den sie bilden, einpassen. 7
    Man erkennt leicht, wie eine solche Ansicht die chinesischen
Denker zu der Vorstellung führte, wie sie erst kürzlich in der
modernen Physik entwickelt wurde, daß nämlich die Gesamtübereinstimmung das Wesen aller Naturgesetze ist. Das folgende Zitat von Ch'en Shun, einem direkten Schüler von Chu
Hsi, der um 1200 n. Chr. lebte, stellt diese Vorstellung klar dar,
in Worten, die als perfekte Erläuterung des Begriffs der Stimmigkeit in der Bootstrap-Philosophie gelten könnten:
    Li ist ein natürliches und unentrinnbares Gesetz der Angelegenheiten und Dinge . . . »Natürlich und unentrinnbar« heißt, daß
(menschliche) Angelegenheiten und (natürliche) Dinge so beschaffen sind, daß sie genau an ihre Stelle passen. »Gesetz« heißt, daß sie
ohne das geringste Zuviel oder Zuwenig an ihre Stelle passen . . .
    Die Menschen der alten Zeit, die den Dingen bis auf den Grund gingen und nach dem Li forschten, wollten die natürliche Unentrinnbarkeit der (menschlichen) Angelegenheiten und der (natürlichen)
Dinge erhellen, und das bedeutet einfach, daß sie alle die genauen
Orte suchten, wo die Dinge exakt zusammenpaßten. Nur dies. 8
    In der östlichen Anschauung wie in der modernen Physik gilt
daher, daß die Eigenschaften jedes Teils nicht durch Grundgesetze bestimmt sind, sondern durch die Eigenschaften aller
anderen Teile. Sowohl die Physiker als auch die Mystiker erkannten, daß dadurch ein Phänomen vollständig erklärt werden kann, aber dann gelangen sie zu verschiedenen Ansichten.
Physiker geben sich, wie schon erwähnt, mit einem annäherungsweisen Verstehen der Natur zufrieden. Die östlichen Mystiker dagegen sind an einem ungefähren oder »relativen« Wissen nicht interessiert. Ihnen geht es um »absolutes« Wissen, das
die Totalität des Lebens begreift. Sie wissen, daß man ein Ding
nur dann erklären kann, wenn man zeigt, wie es mit allem anderen zusammenhängt. Da dies unmöglich ist, halten die östlichen
Mystiker daran fest, daß kein einzelnes Phänomen erklärt werden kann. So sagt Ashvaghosha:
    Alle Dinge in ihrer fundamentalen Natur sind nicht benennbar oder
erklärbar. Sie

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