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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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können in keinerlei Form von Sprache angemessen
ausgedrückt werden. 9
    Den östlichen Weisen geht es daher mehr darum, eine direkte,
nicht-intellektuelle Erfahrung der Einheit aller Dinge zu erlangen. Dies war die Einstellung des Buddha, der alle Fragen nach
dem Sinn des Lebens, dem Ursprung der Welt oder der Natur
des Nirvana mit einem »edlen Schweigen« beantwortete. Die
unsinnigen Antworten der Zen-Meister, wenn sie irgend etwas
erklären sollen, scheinen denselben Zweck zu haben. Sie wollen dem Schüler klarmachen, daß alles eine Folge des Gesamten ist, daß »die Natur erklären« einfach heißt, ihre Einheit zu
zeigen, daß es letztlich nichts zu erklären gibt. Als ein Mönch
den Meister Tozan, der gerade Flachs wog, fragte: »Was ist
Buddha?«, sagte Tozan: »Dieser Flachs wiegt drei Pfund.« 10 Und als Joshu gefragt wurde, warum Bodhidharma nach China
kam, antwortete er: »Ein Eichenbaum im Garten.« 11
    Die östliche Mystik hat es vor allem darauf abgesehen, den
menschlichen Geist von Wörtern und Erklärungen zu befreien.
Beide, Buddhisten und Taoisten, sprechen von einem »Netzwerk von Worten« oder einem »Netz von Begriffen«. Solange
wir Dinge erklären wollen, sind wir vom »Karma« gebunden,
gefangen in unserem Netzwerk der Begriffe. Worte und Erklärungen zu überschreiten bedeutet, die Fesseln des Karma zu
sprengen und die Befreiung zu erreichen.
    Wie in der Bootstrap-Philosophie gibt es auch in der östlichen Weltanschauung keine Grundbausteine der Materie. In
einem Universum, das ein untrennbares Ganzes ist, wo alle
Formen fließen und ständig wechseln, ist kein Platz für eine fixierte Grundeinheit. Der Begriff von »Grundbausteinen« der
Materie ist daher generell in der östlichen Gedankenwelt nicht
anzutreffen. Atomtheorien der Materie wurden in der chinesischen Gedankenwelt nie entwickelt, und obwohl sie in einigen
Schulen der indischen Philosophie auftauchten, sind sie eher
Randerscheinungen der indischen Mystik. Im Hinduismus tritt
der Begriff vom Atom im Jaina-System auf (das als unorthodox
gilt, da es die Autorität der Veden nicht akzeptiert). In der
buddhistischen Philosophie entstanden Atomtheorien in zwei
Schulen des Hinayana-Buddhismus, die aber von der wichtigeren Mahayana-Richtung als Illusion und Produkte von Avidya
behandelt werden. So stellt Ashvaghosha fest:
    Wenn wir eine zusammengesetzte Materie teilen, können wir sie auf
Atome zurückführen. Aber da die Atome auch wieder geteilt werden können, sind alle Formen materieller Existenz, grob oder fein,
nichts als der Schatten der Spezifizierung, und wir können ihnen
keinen Grad von (absoluter oder unabhängiger) Realität zuschreiben. 12
    Die Hauptrichtungen der östlichen Mystik stimmen also mit
der Ansicht der Bootstrap-Philosophie überein, daß das Universum ein miteinander verknüpftes Ganzes ist, in dem kein
Teil fundamentaler ist als der andere, so daß die Eigenschaften
jedes Teils von denen aller anderen bestimmt werden. In diesem Sinn kann man sagen, daß jeder Teil alle anderen »enthält«. In der Tat ist die mystische Naturerfahrung durch die
Vision gegenseitiger Verkörperung gekennzeichnet. Mit den
Worten von Sri Aurobindo:
Für den supramentalen Sinn ist nichts wirklich endlich; er beruht
auf dem Gefühl von allem in jedem und jedem in allem. 13
    Auf diesen Begriff von »allem in jedem und jedem in allem«
ging die Avatamsaka-Schule des Mahayana-Buddhismus am
ausführlichsten ein, die oft als der letzte Gipfel buddhistischen
Denkens betrachtet wird. Sie basiert auf dem Avatamsaka-Sutra, das der Buddha in tiefer Meditation nach seinem Erwachen
geschaffen haben soll. Dieses umfangreiche Sutra, das bisher in
noch keine westliche Sprache übersetzt wurde, beschreibt in
vielen Einzelheiten die Wahrnehmung der Welt im erleuchteten Bewußtseinszustand, wenn »die festen Konturen der Individualität hinwegschmelzen und das Gefühl der Endlichkeit
uns nicht mehr bedrückt«. 14 In seinem letzten Teil, genannt Gandavyuha, erzählt es die Geschichte des jungen Pilgers
Sudhana und gibt einen lebendigen Bericht von seiner mystischen Erfahrung des Universums, das ihm als ein vollkommenes Netzwerk gegenseitiger Beziehungen erscheint, wo alle
Dinge und Vorgänge so zusammenwirken, daß jedes von ihnen
in sich selbst alle anderen enthält. Die folgende Passage aus
dem Sutra, frei wiedergegeben von D. T. Suzuki, gebraucht das
Bild eines großartig geschmückten Turmes, um Sudhanas Erfahrung zu vermitteln:
    Der Turm ist

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