Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
Vom Netzwerk:
Buddhismus ein radikaler Empirismus, welche Dialektik auch immer sich später entwickelte, um
die Bedeutung der Erleuchtungs-Erfahrung zu sondieren. 8
    Joseph Needham hebt wiederholt die empirische Einstellung
der Taoisten in seinem Werk Science and Civilisation in China hervor und findet, daß diese Einstellung den Taoismus zur Basis der chinesischen Wissenschaft und Technik gemacht habe.
Die frühen taoistischen Philosophen, in Needhams Worten,
»zogen sich zurück in die Wildnis, in die Wälder und Berge, um
dort über die Ordnung der Natur zu meditieren und ihre zahllosen Manifestationen zu beobachten«. 9 Den gleichen Geist reflektieren die Zen-Verse:
Wer die Bedeutung der Buddha-Natur verstehen möchte, muß nach
der rechten Zeit und den Kausal-Zusammenhängen ausschauen. 10
    Die feste Gründung des Wissens auf der Erfahrung in der östlichen Mystik hat eine Parallele in der Gründung des naturwissenschaftlichen Wissens auf dem Experiment. Diese Parallele
wird weiter verstärkt durch die Art der mystischen Erfahrung.
Diese wird in den östlichen Traditionen als direkte Einsicht beschrieben, die außerhalb des Reiches des Intellekts liegt und
eher durch Schauen als durch Denken erlangt wird, durch
Selbstversenkung, durch Beobachtung.
    Im Taoismus ist dieser Begriff der Beobachtung im Namen
für taoistische Tempel verkörpert, »Kuan«, was ursprünglich
»Schauen« heißt. Taoisten betrachten ihre Tempel somit als
Orte der Beobachtung. Im Ch'an-Buddhismus, der chinesischen Version des Zen, wird die Erleuchtung oft als »die Vision
des Tao« bezeichnet, und in allen buddhistischen Schulen gilt
das Schauen als Basis des Wissens. Der erste Punkt des »Achtfachen Pfades«, Buddhas Anleitung zur Selbstverwirklichung,
ist das rechte Schauen, gefolgt vom rechten Wissen. D. T.
Suzuki schreibt dazu:
    Das Schauen spielt die bedeutendste Rolle in der buddhistischen
Erkenntnistheorie, denn es ist die Grundlage des Wissens. Wissen
ist unmöglich ohne Schauen; alles Wissen hat seinen Ursprung im
Schauen. Wissen und Schauen findet man somit immer in Buddhas
Lehren vereint. Die buddhistische Philosophie weist daher letztlich
zum Schauen der Wirklichkeit, wie sie ist. Schauen heißt die
Erleuchtung erfahren. 11
    Diese Passage erinnert auch an den Yaqui-Mystiker Don Juan:
»Meine Vorliebe ist es, zu schauen . . . weil nur durch Schauen
der Mann des Wissens wissen kann.« 12
    Hier sollte vielleicht ein Wort der Vorsicht eingefügt werden.
Die Betonung des Sehens (Schauens) in den mystischen Traditionen ist nicht allzu wörtlich, sondern in einem metaphorischen Sinne zu verstehen, da die mystische Erfahrung der
Wirklichkeit eine im wesentlichen nicht-sinnliche Erfahrung
ist. Wenn die östlichen Mystiker über das »Schauen« oder »Sehen« reden, so meinen sie eine Form der Wahrnehmung, die
das visuelle Wahrnehmen einschließen kann, dies aber immer
und grundsätzlich überschreitet und zu einer nicht-sinnlichen
Erfahrung der Wirklichkeit wird. Was sie jedoch immer betonen, wenn sie über das Sehen, Schauen oder Beobachten sprechen, ist der empirische Charakter ihres Wissens. Dieses empirische Vorgehen der östlichen Philosophie erinnert stark an die
Betonung der Beobachtung in der Naturwissenschaft und gibt
unserem Vergleich seinen Rahmen. Das experimentelle Stadium der wissenschaftlichen Forschung scheint der direkten
Einsicht in der östlichen Mystik zu entsprechen, und die wissenschaftlichen Modelle und Theorien entsprechen den verschiedenen Weisen, in denen diese Einsichten interpretiert werden.
    Die Parallele zwischen wissenschaftlichen
Experimenten
und mystischen Erfahrungen scheint vielleicht überraschend im
Hinblick auf die sehr unterschiedliche Natur dieser Beobachtungsvorgänge. Physiker führen ihre Experimente in wohldurchdachter Teamarbeit und mit sehr komplizierten Techniken durch, während Mystiker ihr Wissen nur durch innere Einkehr, ohne Apparate, in der Zurückgezogenheit der Meditation erlangen. Darüber hinaus können wissenschaftliche Experimente jederzeit und von jedermann wiederholt werden, während mystische Erfahrungen offenbar nur wenigen Menschen
zu bestimmten Anlässen vorbehalten sind. Eine nähere Prüfung zeigt jedoch, daß die Unterschiede zwischen den beiden
Arten von Beobachtung lediglich in ihrem Vorgehen liegen und
nicht in ihrer Zuverlässigkeit und ihrer Komplexität.
    Jeder, der ein Experiment in der modernen subatomaren
Physik wiederholen möchte, muß sich vorher einer langjährigen

Weitere Kostenlose Bücher