Das Tao der Physik
Gedanken, ausgeführt
werden müssen. Dies ist der Weg des hinduistischen Yoga und
des taoistischen T'ai Chi Ch'uan. Die rhythmischen Bewegungen dieser Schulen können zum gleichen Gefühl des Friedens
und der Unbeschwertheit führen, das auch für die mehr statischen Formen der Meditation charakteristisch ist; ein Gefühl,
das übrigens auch von einigen Sportarten hervorgerufen werden kann. In meiner Erfahrung ist zum Beispiel das Skilaufen
eine äußerst befriedigende Form der Meditation.
Östliche Kunstformen sind auch Formen der Meditation. Sie
sind nicht so sehr Mittel zum Ausdruck der Ideen des Künstlers
als Wege zur Selbstverwirklichung durch Entwicklung der intuitiven Seite des Bewußtseins. Indische Musik lernt man nicht
durch Notenlesen, sondern indem man dem Spiel des Lehrers
zuhört und so ein Gefühl für die Musik entwickelt, genau wie
die T'ai-Chi-Bewegungen
nicht durch verbale Anweisungen
gelernt werden, sondern indem man sie zusammen mit dem
Lehrer immer und immer wieder ausführt. Japanische Teezeremonien sind voll von langsamen, rituellen Bewegungen.
Chinesische Kalligraphie erfordert die unbefangene, spontane
Bewegung der Hand. Alle diese Fertigkeiten werden im Osten
eingesetzt, um die meditative Seite des Bewußtseins zu entwikkeln.
Für die meisten Menschen, speziell für Intellektuelle, ist dies
eine völlig neue Erfahrung. Wissenschaftler sind von ihrer Forschungsarbeit her mit der direkten intuitiven Einsicht vertraut,
da jede neue Entdeckung in einem plötzlichen, nicht-verbalen
Geistesblitz entsteht. Aber dies sind außerordentlich kurze
Augenblicke, die auftreten, wenn das Gehirn mit Informationen, Begriffen und Denkmustern angefüllt ist. In der Meditation dagegen ist das Gehirn von allen Gedanken und Begriffen
entleert und somit bereit, lange Zeiträume mit seiner intuitiven
Seite zu funktionieren. Lao-tzu drückt diesen Gegensatz zwischen Forschung und Meditation so aus:
Wer dem Lernen nachgeht, wird jeden Tag wachsen;
Wer dem Tao nachgeht, wird jeden Tag schwinden. 14
Wenn der rationale Verstand zum Schweigen gebracht ist, erzeugt die intuitive Art ein außergewöhnliches Bewußtsein. Die
Umgebung wird direkt erfahren, ohne das Filter begrifflichen
Denkens. Mit den Worten Chuang-tzus: »Der stille Geist des
Weisen ist ein Spiegel des Himmels und der Erde - das Schauglas aller Dinge.« 15 Die Erfahrung des Einsseins mit der Umgebung ist das Hauptmerkmal dieses meditativen Zustands. Es
ist ein Bewußtseinszustand, in dem jede Form von Zersplitterung aufgehört hat und in der undifferenzierten Einheit entschwunden ist.
In der tiefen Meditation ist der Geist völlig wach. Zusätzlich
zur nicht-sinnlichen Wahrnehmung der Realität nimmt er all
die Geräusche, Bilder und sonstigen Eindrücke der Umgebung
auf, hält diese Sinneseindrücke aber nicht zwecks Analyse oder
Interpretation fest. Es wird ihnen nicht gestattet, die Aufmerksamkeit abzulenken. Solch ein Zustand des Bewußtseins gleicht
der geistigen Verfassung eines Kriegers, der in
äußerster
Alarmbereitschaft einen Angriff erwartet, alles registriert, was
um ihn herum vorgeht, ohne dadurch jedoch auch nur einen
Augenblick abgelenkt zu werden. Der Zen-Meister Yasutani
Roshi benutzt dieses Bild in seiner Beschreibung von shikantaza, der Übung der Zen-Meditation:
So ist shikan-taza ein Zustand erhöhter, konzentrierter Geistesgegenwart, in dem man weder überspannt noch in Eile und natürlich
niemals schlaff ist. Es ist die Geisteshaltung eines Menschen angesichts des Todes. Stellen Sie sich vor, Sie nähmen an einem Duell im
Schwertkampf jener Art teil, wie er einst im alten Japan geübt
wurde. Angesichts Ihres Gegners sind Sie jeden Augenblick auf der
Hut, entschlossen und bereit. Wenn Sie auch nur eine Sekunde in
Ihrer Wachsamkeit nachließen, so würden Sie augenblicklich niedergestochen. Eine Menge Volk sammelt sich, um den Kampf zu
sehen. Da Sie nicht blind sind, sehen Sie die Volksmenge aus dem
Augenwinkel, und da Sie nicht taub sind, hören Sie sie. Aber Ihre
Aufmerksamkeit wird von solchen Sinneswahrnehmungen nicht einen einzigen Augenblick gefangengenommen. 16
Wegen der Ähnlichkeit zwischen dem meditativen Zustand
und dem Geisteszustand eines Kriegers spielt das Bild des
Kriegers eine bedeutende Rolle im geistigen und kulturellen
Leben des Ostens. Der Schauplatz des bedeutendsten religiösen Textes der Inder, der Bhagavad Gita, ist ein Schlachtfeld,
und Kriegskünste bilden einen wichtigen Teil der
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