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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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Anfänger wird der Zen-Meister normalerweise dieses
Mu-Koan oder eins der beiden folgenden präsentieren:
     
»Was war dein ursprüngliches Gesicht, das du hattest, bevor deine
Eltern dich gebaren?«
     
»Du kannst das Geräusch von zwei klatschenden Händen erzeugen.
Wie ist jetzt das Geräusch einer Hand?«
    Alle diese Koans haben mehr,oder weniger einzigartige Lösungen, die ein kompetenter Meister sofort erkennt. Ist die Lösung
einmal gefunden, so hört das Koan auf, paradox zu sein, und
wird zu einer bedeutungsvollen Aussage des Bewußtseinszustandes, den es zu erwecken half.
    In der Rinzai-Schule muß der Schüler eine lange Reihe von
Koans lösen, von denen jedes einen speziellen Aspekt des Zen
behandelt. Diese Schule vermittelt ihre Lehren nur auf solche
Weise. Sie gebraucht keinerlei positive Aussagen, sondern
überläßt es gänzlich dem Schüler, die Wahrheit durch die
Koans zu erfassen.
    Hier finden wir eine auffallende Parallele zu den Widersprüchen, denen die Physiker am Anfang der Atomphysik gegenüberstanden. Wie im Zen war die Wahrheit in Paradoxa verborgen, die nicht durch logisches Denken zu verstehen waren,
sondern nur im Rahmen einer neuen Erfahrung verstanden
werden konnten, der Erfahrung der atomaren Wirklichkeit.
Hier war der Lehrmeister natürlich die Natur, die wie die
Zen-Meister keinerlei Aussagen macht. Sie stellt nur die Fragen.
    Das Lösen eines Koans verlangt vom Schüler den äußersten
Einsatz an Konzentration und Hingabe. In Büchern über Zen
lesen wir, daß das Koan Herz und Verstand des Schülers erfaßt
und eine wahre geistige Sackgasse schafft, einen Zustand beständiger Spannung, in dem die ganze Welt zu einer riesigen
Masse von Zweifeln und Fragen wird. Die Begründer der
Quantentheorie erfuhren genau die gleiche Situation, die Heisenberg hier anschaulich schildert:
    Ich erinnere mich an viele Diskussionen mit Bohr, die bis spät in die
Nacht dauerten und fast in Verzweiflung endeten. Und wenn ich am
Ende solcher Diskussionen noch allein einen kurzen Spaziergang im
benachbarten Park unternahm, wiederholte ich mir immer und immer wieder die Frage, ob die Natur wirklich so absurd sein könne,
wie sie uns in diesen Atomexperimenten erschien. 6
    Immer, wenn das Wesen der Dinge vom Intellekt analysiert
wird, muß es absurd oder paradox erscheinen. Dies haben die
Mystiker immer erkannt, für die Wissenschaft jedoch stellte
sich dieses Problem erst in jüngster Zeit. Jahrhundertelang
suchten die Wissenschaftler nach den »Grundgesetzen der Natur«, auf denen die große Vielfalt der Naturerscheinungen beruhte. Diese Erscheinungen gehörten zur makroskopischen
Umwelt der Wissenschaftler und somit zum Bereich ihrer Sinneseindrücke. Da die Bilder und intellektuellen Begriffe ihrer
Sprache von eben diesen Sinneseindrücken abstrahiert waren,
reichten sie aus, um die Naturereignisse zu beschreiben.
    Fragen nach dem Wesen der Dinge wurden in der klassischen
Physik mit dem Newtonschen mechanistischen Modell des
Universums beantwortet, welches alle Phänomene auf die Bewegungen und das gegenseitige Einwirken harter, unzerstörbarer Atome reduzierte, so ähnlich wie in dem griechischen
Modell von Demokrit. Die Eigenschaften dieser Atome waren
abgeleitet von der makroskopischen Vorstellung von Billardkugeln und somit von Sinneseindrücken. Es wurde nicht danach gefragt, ob diese Vorstellung tatsächlich auf die Welt der
Atome anwendbar war. Man konnte sie damals auch noch nicht
experimentell erforschen.
    Im zwanzigsten Jahrhundert jedoch waren die Physiker in
der Lage, die Frage nach der grundlegenden Natur der Materie
experimentell anzugehen.
Mithilfe
einer hochentwickelten
Technik konnten sie tiefer und tiefer in die Natur eindringen
und eine Schicht nach der anderen auf der Suche nach den
»Grundbausteinen« der Materie abtragen. So wurde die Existenz von Atomen bestätigt, dann wurden ihre Bestandteile
entdeckt, die Atomkerne und Elektronen und schließlich die
Bestandteile des Atomkerns, die Protonen und Neutronen, und
viele andere subatomare Teilchen.
    Die empfindlichen und komplizierten Instrumente der modernen Experimentalphysik dringen tief in die submikroskopische Welt ein, in Reiche der Natur, die weit von unserer makroskopischen Welt entfernt liegen, und machen diese Welt unseren Sinnen zugänglich. Sie können dies nur durch eine Kette
von Prozessen, an deren Ende zum Beispiel der hörbare Klick
eines Geigerzählers oder ein Punkt auf einer Fotoplatte steht.
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