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Das Tao der Physik

Das Tao der Physik

Titel: Das Tao der Physik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritjof Capra
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gegenseitige Anziehung oder Abstoßung, als Austausch von anderen Teilchen geschildert. Es ist schwer, sich das vorzustellen. Es ist eine Folge
des vierdimensionalen Raum-Zeit-Charakters der subatomaren Welt, und weder unsere Intuition noch unsere Sprache
kann mit diesem Bild viel anfangen. Und doch ist es entscheidend für das Verständnis subatomarer Phänomene. Es verbindet die Kräfte zwischen den Bestandteilen der Materie mit den
Eigenschaften anderer Bestandteile der Materie und vereinigt
so die zwei Begriffe, Kraft und Materie, die seit den griechischen Atomisten als gegensätzlich betrachtet wurden. Heute
sieht man den gemeinsamen Ursprung sowohl der Kraft als
auch der Materie in den dynamischen Strukturen, die wir Teilchen nennen.
    Die Tatsache, daß Teilchen durch Kräfte, die sich als Austausch anderer Partikel manifestieren, aufeinander einwirken,
ist noch ein weiterer Grund dafür, daß die subatomare Welt
nicht in Bestandteile zerlegt werden kann. Von der makroskopischen Ebene bis hinunter zum Atomkern sind die Kräfte, die
die Dinge zusammenhalten, relativ schwach, und man kann in
guter Näherung sagen, daß die Dinge aus Bestandteilen bestehen. So läßt sich sagen, daß ein Salzkörnchen aus Salzmolekülen besteht, die Salzmoleküle aus zwei Arten von Atomen,
diese Atome aus Kernen und Elektronen und die Kerne aus
Protonen und Neutronen. Auf der Teilchen-Ebene kann man
die Dinge jedoch nicht mehr so sehen.
    In jüngster Zeit gab es zunehmend Anzeichen dafür, daß
Protonen und Neutronen ebenfalls zusammengesetzte Objekte
sind, aber die Kräfte, die sie zusammenhalten, sind so stark,
oder - was auf dasselbe herauskommt — die Geschwindigkeiten
der Bestandteile sind so groß, daß das relativistische Bild angewendet werden muß, wo Kräfte gleichzeitig Teilchen sind. Somit verschwimmt der Unterschied zwischen den Teilchen, die
Bestandteile sind, und denen, die Bindungskräfte darstellen,
und die angenäherte Annahme von einem Objekt, das aus Bestandteilen besteht, bricht zusammen. Die Teilchen können
nicht in Elementarbestandteile zerlegt werden.
    In der modernen Physik zeigt sich das Universum als dynamisches, unteilbares Ganzes, das seinem Wesen nach immer den
Beobachter einschließt. Hier verlieren die traditionellen Begriffe von Raum, Zeit, von isolierten Objekten, von Ursache
und Wirkung ihre Bedeutung. Diese Erfahrung ist jedoch der
der östlichen Mystiker sehr ähnlich. Die Ähnlichkeit wird offensichtlich in der Quanten- und Relativitätstheorie und wird
noch stärker in den quanten-relativistischen Modellen der subatomaren Physik, wo sich beide Theorien vereinen, um die auffallendsten Parallelen zum östlichen Mystizismus zu erzeugen.
    Ehe ich diese Parallelen im einzelnen beschreibe, will ich für
den hiermit nicht vertrauten Leser einen kurzen Abriß der
Schulen der östlichen Philosophie vorlegen, die für den Vergleich wichtig sind, nämlich des Hinduismus, Buddhismus und
Taoismus. In den folgenden fünf Kapiteln werden der historische Hintergrund, die charakteristischen Züge und philosophischen Begriffe dieser religiösen Traditionen beschrieben, mit
Betonung der Aspekte und Begriffe, die für den nachfolgenden
Vergleich mit der Physik von Bedeutung sind.
II
Der Weg
der östlichen Mystik
Hinduismus 5
    Um die philosophischen Traditionen zu verstehen, die im folgenden beschrieben werden, muß man sich klarmachen, daß sie
in ihrem Wesen religiös sind. Sie zielen auf die direkte mystische Erfahrung der Wirklichkeit, und diese Erfahrung ist von
Natur aus religiös. Mehr als für alle anderen östlichen Traditionen gilt das für den Hinduismus, in dem die Verbindung zwischen Religion und Philosophie besonders stark ist. Man sagt,
daß in Indien fast alle Gedanken in gewissem Sinne religiös
sind, und der Hinduismus hat nicht nur viele Jahrhunderte lang
das intellektuelle Leben Indiens, sondern auch das soziale und
kulturelle Leben fast völlig geprägt.
    Man kann den Hinduismus weder Philosophie noch eine klar
definierte Religion nennen. Er ist vielmehr ein großer, komplexer sozio-religiöser Organismus und besteht aus zahllosen Sekten, Kulten und philosophischen Systemen mit verschiedenen
Ritualen, Zeremonien und geistigen Disziplinen sowie der
Verehrung unzähliger Götter und Göttinnen. Die vielen Facetten dieser komplexen, aber beständigen und mächtigen Tradition spiegeln die geographische, rassische, sprachliche und kulturelle Vielfalt des weiten indischen Subkontinents. Die

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