Das Tao der Physik
geringen Raum entsprechend heftiger. Sie rasen mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 000 km pro Sekunde durch den Kern!
Nukleare Masse ist also eine Masseform, die völlig anders ist als
alles, was wir »hier oben« in unserer makroskopischen Welt erleben. Wir können sie vielleicht am besten als winzige Tropfen
einer extrem dichten Flüssigkeit beschreiben, die heftig siedet
und brodelt.
Der wesentliche neue Aspekt der Kernmaterie ist die Kernkraft mit dem
eigenartigen
Merkmal ihrer extrem
kurzen
Reichweite. Sie wirkt nur, wenn sich Nukleonen stark annähern, d. h. wenn ihr Abstand das Zwei- bis Dreifache ihres
Durchmessers beträgt. Auf diese Entfernung wirkt die Kernkraft stark anziehend. Bei verringertem Abstand wirkt sie stark
abstoßend, so daß die Nukleonen sich nicht weiter annähern
können. Auf diese Weise hält die Kernkraft den Kern in einem
extrem stabilen, wenn auch extrem dynamischen, Gleichgewicht.
Materie ist also leerer Raum mit winzigen, weit voneinander
entfernten Teilchen konzentrierter Masse. Im weiten Raum
zwischen den massiven und heftig »kochenden« Kernen bewegen sich die Elektronen. Sie stellen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten Masse dar, verursachen jedoch die Festigkeit
der Materie und liefern die notwendigen Bindeglieder zum
Aufbau der Molekülstrukturen. Sie sind an chemischen Reaktionen beteiligt und verantwortlich für die chemischen Eigenschaften der Materie. Kernreaktionen treten gewöhnlich in dieser Form von Materie nicht von alleine auf, da die verfügbaren
Energien nicht groß genug sind, um das nukleare Gleichgewicht zu stören.
Jedoch kann diese Art von Materie mit ihrer Vielzahl von
Formen und Strukturierungen und ihrer komplizierten molekularen Architektur nur unter sehr speziellen Bedingungen
existieren, wenn nämlich die Temperatur nicht zu hoch ist, so
daß sich die Moleküle nicht zu heftig bewegen. Wird die Wärmeenergie verhundertfacht, was in den meisten Sternen der
Fall ist, werden alle atomaren und molekularen Strukturen zerstört. Der größte Anteil der Materie im Universum existiert in
Wirklichkeit in einem Zustand, der sich stark von dem eben beschriebenen unterscheidet. Im Zentrum der Sterne existieren
große Anhäufungen von Kernmasse, und es überwiegen Kernprozesse, die auf der Erde nur sehr selten auftreten. Sie sind
wesentlich für die Vielfalt der von der Astronomie beobachteten stellaren Phänomene, die meist von einer Kombination von
Kernkräften und Schwerkraft verursacht werden. Für unseren
Planeten sind die Kernprozesse im Zentrum der Sonne von besonderer Bedeutung, weil sie die Energie liefern, die unsere
irdische Welt in Gang hält. Einer der größten Triumphe der
modernen Physik war die Entdeckung, daß der ständige Energiefluß von der Sonne, unserem lebenswichtigen Bindeglied zur
Welt des unermeßlich Großen, eine Folge von Kernreaktionen
ist, also von Phänomenen aus der Welt des unendlich Kleinen.
In der Geschichte der Erforschung der submikroskopischen
Welt wurde in den frühen dreißiger Jahren ein Stadium erreicht, wo die Wissenschaftler nun endgültig die »Grundbausteine« der Materie entdeckt zu haben meinten. Es war bekannt, daß alle Materie aus Atomen und alle Atome aus Protonen, Neutronen und Elektronen bestehen. Diese sogenannten
Elementarteilchen wurden als kleinste, unzerstörbare Einheiten der Materie betrachtet: Atome im Sinne Demokrits. Damals wurde noch nicht allgemein erkannt, daß wir nach der
Quantentheorie die Welt nicht in kleinste, unabhängig existierende Teilchen zerlegen können. Die klassischen Denkgewohnheiten waren so tief verwurzelt, daß die meisten Physiker
die Materie in Begriffen ihrer »Grundbausteine« zu verstehen
versuchten, und diese Tendenz ist auch heute noch sehr stark.
Zwei weitere Entwicklungen in der modernen Physik zeigten
jedoch, daß die Anschauung von Elementarteilchen als primäre Einheiten der Materie aufgegeben werden muß. Eine dieser Entwicklungen war experimentell, die andere theoretisch,
und beide begannen in den dreißiger Jahren. Als die Physiker
ihre Experimentiertechniken verfeinerten, wurden neue Teilchen entdeckt. 1935 vergrößerte sich die Anzahl der entdeckten Teilchen von drei auf sechs, 1955 auf achtzehn, und heute
kennen wir über zweihundert »Elementarteilchen«.
Die folgenden beiden Tabellen zeigen die meisten heute bekannten Teilchen, sie wurden einer neuen Veröffentlichung
entnommen. Sie illustrieren überzeugend, daß das Adjektiv
»elementar« in
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