Das Tao der Physik
ist, daß das Teilchen ein Zwischensystem darstellt, welches die Vorgänge in A
und B miteinander verbindet. Nur in diesem Zusammenhang
existiert es und hat Bedeutung; nicht als isolierte Einheit, sondern nur als Verbindung zwischen den Vorgängen der Vorbereitung und der Messung. Die Eigenschaften des Teilchens
können nicht unabhängig von diesen Vorgängen definiert werden. Wird die Vorbereitung oder die Messung verändert, so
ändern sich die Eigenschaften des Teilchens ebenfalls.
Andererseits zeigt die Tatsache, daß wir über das »Teilchen«
oder irgendein anderes beobachtetes System sprechen, daß wir
eine unabhängige physikalische Einheit im Sinn haben, die erst
vorbereitet und dann gemessen wird. Das Grundproblem mit
den Beobachtungen in der Atomphysik ist somit – in den Worten von Henry Stapp - daß »das beobachtete System isoliert
sein muß, um definiert zu werden, aber wechselwirkend, um
beobachtet zu werden.« 4 Dieses Problem wird in der Quantentheorie auf pragmatische Weise gelöst, nämlich durch die Forderung, daß das beobachtete System von äußeren Störungen
freizuhalten ist, die durch den Beobachtungsvorgang während
eines Zeitraums zwischen Vorbereitung und darauf folgender
Messung verursacht werden. Solch eine Bedingung kann erwartet werden, wenn Vorbereitungs- und Meßeinrichtungen
räumlich weit getrennt sind, so daß das beobachtete Objekt
vom Vorbereitungsort zur Meßstelle wandern kann.
Wie groß muß dann diese Entfernung sein? Im Prinzip muß
sie unendlich sein. Im Rahmen der Quantentheorie kann der
Begriff einer bestimmten physikalischen Einheit nur dann präzis definiert werden, wenn diese Einheit unendlich weit von den
Meß-Mitteln entfernt ist. In der Praxis ist das natürlich unmöglich; es ist auch nicht erforderlich. Wir erinnern uns an die
Grundeinstellung der modernen Wissenschaft, daß alle ihre
Begriffe und Theorien Annäherungen sind (siehe Seite 39). Im
vorliegenden Fall heißt dies, daß für den Begriff einer bestimmten physikalischen Einheit eine annähernde Definition genügt,
eine präzise Definition ist nicht nötig. Dies wird auf die folgende Art getan.
Das beobachtete Objekt ist eine Manifestation der Wechselwirkung zwischen den Vorbereitungs- und den Meßvorgängen. Diese Wechselwirkung ist im allgemeinen komplex und
enthält verschiedene Effekte, die sich über verschiedene Entfernungen erstrecken. Es hat verschiedene »Reichweiten«, wie
wir in der Physik sagen. Wenn jetzt der dominierende Teil des
Zusammenwirkens eine große Reichweite hat, wandert die
Manifestation dieses Effekts mit großer Reichweite über eine
große Entfernung. Sie ist dann frei von äußeren Störungen und
kann als bestimmte physikalische Einheit bezeichnet werden.
Im Gerüst der Quantentheorie sind daher »bestimmte physikalische Einheiten« Idealisierungen und nur in dem Ausmaß bedeutsam, wie der Hauptteil der Wechselwirkung eine große
Reichweite hat. Eine solche Situation kann mathematisch genau definiert werden. Physikalisch bedeutet dies, daß die Meßeinrichtungen so weit auseinander aufgestellt sind, daß ihre
Hauptwechselwirkung durch den Austausch eines Teilchens,
oder, in komplizierteren Fällen, eines Netzwerks von Teilchen,
erfolgt. Immer treten zusätzlich andere Effekte auf, aber solange die Meßeinrichtungen weit genug getrennt stehen, können diese Effekte vernachlässigt werden. Nur wenn die Meßeinrichtungen zu dicht stehen, werden die Effekte von kurzer
Reichweite übermächtig. In diesem Fall bildet das ganze makroskopische System ein einheitliches Ganzes, und der Begriff
von einem beobachteten Objekt bricht zusammen.
Die Quantentheorie enthüllt so einen wesentlichen inneren
Zusammenhang des Universums. Sie zeigt, daß wir die Welt
nicht in unabhängig existierende kleinste Teilchen zerlegen
können.* Beim Eindringen in die Materie finden wir, daß sie aus
Teilchen besteht, aber dies sind nicht die Grundbausteine im
Sinne von Demokrit und Newton. Sie sind lediglich Idealisierungen; vom praktischen Standpunkt aus von Nutzen, aber
ohne fundamentale Bedeutung. Mit den Worten von Niels
Bohr: »Isolierte Materie-Teilchen sind Abstraktionen, ihre Eigenschaften sind nur durch ihr Zusammenwirken mit anderen
Systemen definierbar und wahrnehmbar.« 5
Die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie wird nicht
universell akzeptiert. Es gibt mehrere Gegenvorschläge, und
die damit zusammenhängenden philosophischen Probleme
sind noch lange nicht gelöst. Der
Weitere Kostenlose Bücher