Das Tao der Physik
Messungen braucht, um solche statistischen Voraussagen
zu bestätigen. Und bei den Kollisionsversuchen der Hochenergie-Physik werden wirklich Zehntausende von
Teilchenzusammenstößen aufgezeichnet und analysiert, um die Wahrscheinlichkeit für einen bestimmten Vorgang zu ermitteln.
Wichtig ist die Feststellung, daß die statistische Formulierung der Gesetze der Atom- und Subatomphysik nicht unsere
Unwissenheit über die physikalische Situation wiedergibt, wie
dies bei der Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung
durch Versicherungsgesellschaften oder Glücksspieler der Fall
ist. In der Quantentheorie haben wir die Wahrscheinlichkeit als
Grundeigenschaft der atomaren Realität erkannt, welche alle
Prozesse steuert, sogar die Existenz der Materie. Subatomare
Teilchen existieren nicht mit Sicherheit an bestimmten Orten,
sondern zeigen eher »Tendenzen zu existieren«, und atomare
Vorgänge verlaufen nicht mit Sicherheit zu bestimmten Zeiten
und auf bestimmte Weise, sondern zeigen eher »Tendenzen
aufzutreten«. Es ist z. B. nicht möglich, mit Sicherheit zu sagen,
wo sich ein Elektron zu einer bestimmten Zeit im Atom aufhält.
Sein Ort hängt von der Anziehungskraft des Atomkerns und
vom Einfluß der anderen Elektronen im Atom ab. Diese Bedingungen bestimmen das Bild der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons in den verschiedenen Räumen des
Atoms.
Modelle der Aufenthatlswahrscheinlichkeiten von Elektronen in ihren Räumen
Obiges Bild zeigt einige Modelle von
Strukturen solcher
Aufenthaltswahrscheinlichkeiten. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons ist groß an den hellen Stellen, klein an
den dunklen. Wichtig dabei ist, daß das gesamte Bild das Elektron zu einer gegebenen Zeit darstellt. Innerhalb des Bildes
können wir den Aufenthaltsort des Elektrons nicht angeben,
sondern nur seine Tendenz, in bestimmten Gegenden zu sein.
Im mathematischen Formalismus der Quantentheorie werden
diese Tendenzen oder Wahrscheinlichkeiten durch die sogenannte Wahrscheinlichkeitsfunktion dargestellt, die die Wahrscheinlichkeit angibt, mit der das Elektron zu verschiedenen
Zeiten an verschiedenen Orten aufzufinden ist.
Der Gegensatz zwischen den beiden Beschreibungsarten klassische Begriffe für die Versuchsanordnung und Wahrscheinlichkeitsfunktionen für die beobachteten Objekte - führt
zu großen metaphysischen Problemen, die bisher nicht gelöst
werden konnten. In der Praxis werden jedoch diese Probleme
umgangen, indem zur Beschreibung des Beobachtungssystems
»Betriebsanleitungen« gegeben werden, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, die Versuche anzuordnen und durchzuführen. Auf diese Weise werden die Meßgeräte und die Wissenschaftler wirkungsvoll zu einem komplexen System zusammengefaßt, welches keine bestimmten, klar definierten Teile
hat, und der Versuchsapparat braucht nicht als isolierte physikalische Einheit beschrieben zu werden.
Für die weitere Erörterung des Beobachtungsvorgangs wollen wir ein definiertes Beispiel herausgreifen, und zwar die einfachste physikalische Einheit, ein subatomares Teilchen, ein
Elektron. Wenn wir solch ein Teilchen beobachten und messen
wollen, müssen wir es zuerst mit einem bestimmten Verfahren
isolieren oder sogar erst herstellen. Ist es für die Beobachtung
auf diese Weise vorbereitet, kann man seine Eigenschaften
messen. Man kann die Situation symbolisch wie folgt darlegen.
Ein Teilchen wird im Raum A vorbereitet, wandert von A nach
B und wird im Raum B gemessen. In der Praxis können sowohl
Vorbereitung als auch Messung aus einer ganzen Reihe von
recht komplizierten Vorgängen bestehen. Bei den Kollisionsversuchen der Hochenergie-Physik zum Beispiel besteht die
Vorbereitung der als Geschosse benutzten Teilchen darin, daß
man sie auf einer Kreisbahn so lange beschleunigt, bis ihre
Energie ausreichend hoch ist. Dieser Prozeß findet im Teilchenbeschleuniger
statt. Nach
Erreichen der gewünschten
Energie verlassen sie den Beschleuniger (A) und wandern zum
Zielraum (B), wo sie mit anderen Teilchen zusammenstoßen.
Diese Zusammenstöße finden in einer Blasenkammer statt, wo
die Teilchen sichtbare
Spuren hinterlassen, die fotografiert
werden.* Die Eigenschaften der Teilchen werden dann aus ei
* Siehe Abb. S. 201.
ner mathematischen Analyse ihrer Spuren gefolgert. Eine solche Analyse kann sehr komplex sein und wird oft mit Hilfe von
Computern durchgeführt. All diese Vorgänge und Aktivitäten
stellen die Messung dar.
Wichtig bei dieser Analyse der Beobachtung
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