Das Tao der Physik
Wechselspiels zwischen der Natur und uns
selbst.« 12 Der entscheidende Zug der Atomphysik ist, daß der
menschliche Beobachter nicht nur für die Beobachtung der Eigenschaften eines Objekts notwendig ist, sondern sogar, um
diese Eigenschaften zu definieren. In der Atomphysik können
wir nicht von den Eigenschaften eines Objekts als solchem
sprechen. Sie sind nur im Zusammenhang mit der Wechselwirkung des Objekts mit dem Beobachter von Bedeutung. Mit
Heisenbergs Worten: »Was wir beobachten, ist nicht die Natur
selbst, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.« 13 Der Beobachter entscheidet, wie er die Messungen
aufstellt, und diese Anordnung entscheidet bis zu einem gewissen Grad die Eigenschaften des beobachteten Objekts. Wird
die Versuchsanordnung verändert, ändern sich die Eigenschaften des beobachteten Objekts ebenfalls.
Dies kann mit dem einfachen Fall eines subatomaren Teilchens erläutert werden. Beim Beobachten eines solchen Teilchens kann man beispielsweise u. a. seinen Ort und seinen Impuls (Impuls = Masse mal Geschwindigkeit des Teilchens)
messen. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß ein wichtiges Gesetz der Quantentheorie - Heisenbergs Unschärferelation - besagt, daß diese beiden Größen nie gleichzeitig genau
gemessen werden können. Wir können entweder genau den
Ort des Teilchens feststellen und über seinen Impuls (und damit seine Geschwindigkeit) nichts erfahren oder umgekehrt,
oder wir können sehr ungenaue Werte von beiden Größen erhalten.
Diese Einschränkungen haben nichts mit mangelhafter Meßtechnik zu tun, sie sind in der atomaren Realität enthalten.
Wenn wir den Ort des Teilchens messen, hat das Teilchen einfach keinen klar definierbaren Impuls, und wenn wir den Impuls messen, hat es keinen klar definierten Ort.
In der Atomphysik kann also der Wissenschaftler nicht die
Rolle eines unbeteiligten objektiven Beobachters spielen, sondern er wird in die beobachtete Welt miteinbezogen und beeinflußt die Eigenschaften des beobachteten Objekts. Diese Einbeziehung des Beobachters in den Versuchsvorgang sieht der
Wissenschaftler John Wheeler als den wichtigsten Zug der
Quantentheorie an. Er empfiehlt daher, den Ausdruck »Beobachter« durch »Teilnehmer« zu ersetzen: »In irgendeinem
merkwürdigen Sinn ist das Universum ein teilnehmendes Universum.« 14
Diese Vorstellung einer Teilnahme statt Beobachtung wurde
in der modernen Physik erst kürzlich formuliert, aber jedem,
der sich mit Mystik beschäftigt, ist sie wohlbekannt. Mystisches
Wissen kann niemals nur durch Beobachtung erlangt werden,
sondern nur durch volle Teilnahme mit dem ganzen Wesen.
Der Begriff des Teilnehmers ist somit entscheidend für die östliche Weltanschauung. Die östlichen Mystiker gehen sogar
noch viel weiter als die Atomphysiker. In der Meditation gelangen sie an einen Punkt, wo der Unterschied zwischen Beobachter und Beobachtetem völlig zusammenbricht, wo Objekt
und Subjekt zu einem vereinigten, undifferenzierten Ganzen
verschmelzen. So heißt es in den Upanischaden;
Wo es eine Dualität gibt, da sieht eins das andere; da riecht eins das
andere, da schmeckt eins das andere . . . Aber wo alles das eigene
Selbst geworden ist, womit und wen würde man sehen? Womit und
was würde man riechen? Womit und wen würde man schmecken? 15
Dies ist das endgültige Begreifen der Einheit aller Dinge. Nach
dem Zeugnis der Mystiker kann man es in einem Bewußtseinszustand erreichen, in dem die Welt der Sinne und die Vorstellung von »Dingen« überschritten wird. Mit den Worten Chuang-tzus:
Meine Verbindung zum Körper und seinen Teilen ist gelöst. Meine
Sinnesorgane sind abgeschafft. Indem ich so meine stoffliche Form
und mein Wissen fahrenlasse, werde ich eins mit dem Großen
Durchdringer. Dies nenne ich sitzen und alle Dinge vergessen. 1 ' 1
Die moderne Physik arbeitet natürlich in einem ganz anderen
Rahmen und kann in der Erfahrung der Einheit aller Dinge
nicht so weit gehen. Aber sie machte mit der Atomtheorie einen großen Schritt in Richtung auf die Weltanschauung der östlichen Mystiker. Die Quantentheorie hat den Begriff von
grundsätzlich selbständigen Objekten abgeschafft, hat den Begriff des Teilnehmers eingeführt, der den Begriff des Beobachters ersetzen soll, und mag es sogar notwendig finden, das
menschliche Bewußtsein in ihre Beschreibung der Welt einzubeziehen. Sie sieht jetzt das Universum als zusammenhängendes Gewebe physikalischer und geistiger Beziehungen,
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