Das Tao der Physik
Bildschirm projiziert, so wird sie zu
einer Schwingung zwischen zwei Extremwerten. Um die Analogie mit der chinesischen Gedankenwelt aufrechtzuerhalten,
habe ich den Kreis mit »Tao« und die beiden Grenzwerte mit
»Yin« und »Yang« bezeichnet. Der Ball kreist mit konstanter
Geschwindigkeit, aber in der Projektion verlangsamt sich die
Geschwindigkeit bei Annäherung an die Endwerte, kehrt dann
um, beschleunigt und verlangsamt sich dann wieder - und so
weiter in einem endlosen Zyklus.
Dynamische Einheit polarer Gegensätze
In jeder Projektion dieser Art erscheint die Kreisbewegung als
Schwingung zwischen zwei entgegengesetzten Punkten, aber in
der Bewegung selbst sind die Gegensätze vereinigt und gehen
ineinander über. Dieses Bild einer dynamischen Vereinigung
von Gegensätzen hatten die chinesischen Denker im Sinn, wie
aus den Zitaten des Chuang-tzu ersichtlich wird(s.z.B.S. 117).
Eine der Grundpolaritäten im Leben ist die zwischen der
männlichen und der weiblichen Seite der menschlichen Natur.
Wie mit der Polarität von Gut und Böse oder Leben und Tod
fühlen wir uns mit dieser Polarität des Männlichen und Weiblichen in uns selbst unbehaglich und geben daher der einen oder
der anderen Seite das Übergewicht. Die westliche Gesellschaft
hat traditionsgemäß mehr die männliche als die weibliche Seite
bevorzugt. Anstatt zu erkennen, daß die Persönlichkeit jedes
Mannes und jeder Frau das Ergebnis des Zusammenspiels
männlicher und weiblicher Elemente ist, hat sie eine statische
Ordnung errichtet, wo alle Männer männlich und alle Frauen
weiblich zu sein haben, und sie gab den Männern die führenden
Rollen und die meisten gesellschaftlichen Privilegien. Diese
Einstellung bewirkte eine Überbetonung aller Yang- (oder
männlichen) Aspekte der menschlichen Natur: Aktivität, rationales Denken, Konkurrenzkampf, Aggressivität usw. Die
Yin- (oder weiblichen) Formen des Bewußtseins, die als intuitiv, religiös, mystisch, okkult oder psychisch beschrieben werden können, wurden in unserer männlich orientierten Welt
stets unterdrückt.
In der östlichen Mystik wird die weibliche Seite entwickelt
und eine Einheit zwischen den beiden Aspekten der menschlichen Natur gesucht. Ein voll entwickelter Mensch ist nach
Lao-tzus Worten der, »der das Männliche kennt und doch das
Weibliche hält«. In vielen östlichen Traditionen ist das dynamische Gleichgewicht zwischen den männlichen und den weiblichen Formen des Bewußtseins das Hauptziel der Meditation
und wird oft in Kunstwerken dargestellt. Eine prächtige Skulptur Schivas im Hindutempel von Elephanta zeigt drei Gesichter
des Gottes: Das rechte stellt sein männliches Profil voll Virilität
und Willenskraft dar, das linke seinen weiblichen Aspekt sanft, reizend, verführerisch - und das mittlere die vollendete
Einheit beider Aspekte im großartigen Haupt von
Schiva
Mahesvara, dem großen Gott, das gelassene Ruhe und transzendentale Erhabenheit ausstrahlt. Im selben Tempel wird
Schiva auch in Zwitterform dargestellt, halb männlich, halb
weiblich, und die fließenden Bewegungen des göttlichen Körpers und das heitere Gelöstsein seines/ihres Gesichts symbolisieren wieder die dynamische Vereinigung des Männlichen und
des Weiblichen.
Im tantrischen Buddhismus wird die männlich-weibliche Polarität oft mit Hilfe von Sexualsymbolen erläutert. Intuitive
Weisheit wird als die
passive, weibliche Eigenschaft der
menschlichen Natur gesehen, Liebe und Mitgefühl als die
aktive, männliche Eigenschaft, und die Vereinigung beider im
Prozeß der Erleuchtung wird durch die ekstatische sexuelle
Umarmung männlicher und weiblicher Gottheiten dargestellt.
Die östlichen Mystiker versichern, daß eine solche Vereinigung
der männlichen und weiblichen Seiten nur auf einer höheren
Bewußtseinsebene erfahren werden kann, wo das Reich der
Gedanken und der Sprache überschritten wird und alle Gegensätze als dynamische Einheit erscheinen. Wie bereits erwähnt,
hat die moderne Physik eine ähnliche Ebene erreicht. Die Erforschung der subatomaren Welt hat eine Wirklichkeit enthüllt,
die immer wieder Sprache und logisches Argumentieren überschreitet, und die Vereinigung von Begriffen, die bisher entgegengesetzt und unvereinbar erschienen, erweist sich als einer
der überraschendsten Züge dieser neuen Realität.
Beispiele für die Einheit gegensätzlicher Begriffe können in
der modernen Physik auf der subatomaren Ebene gefunden
werden, wo Teilchen sowohl zerstörbar als auch
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