Das taube Herz
ausgesprochenen Begrüßungsformeln rückte der Jüngling endlich mit seinem Anliegen heraus.
»Herr von Kempelen schickt mich«, sagte er und schaute Montallier erwartungsvoll an.
Als er den Namen von Kempelen hörte, verschluckte sich Montallier und verfiel in einen Hustenanfall, der ihn zwang, sich vom Tisch zu erheben. Hilflos beugte er sich vornüber und rief seinen Kammerdiener. Dieser eilte herbei und schlug ihm vorsichtig auf den Rücken.
»Warum so zögerlich!«, stieß Montallier hustend hervor und klopfte sich selbst auf die Brust.
Der junge Ausländer zog sich leicht erschrocken in eine Ecke zurück. Aber dies hinderte den hustenden Montallier nicht, sich vor ihm aufzubauen wie ein Berg.
»Von Kempelen?«, fragte er aufgeregt. »Wann kommt er?«
Es stellte sich heraus, dass der junge Kurier aus Wien
kaum ein Wort Französisch sprach. Also musste erst ein Übersetzer organisiert werden, eine kleine Tischrunde mit Tee und Kuchen, bestem Gebäck, Pralinen und Zigarren. Montallier putzte sich heraus, als hätte er eine Audienz bei der Königin höchstpersönlich.
Die Informationen des Kuriers entsprachen den Erwartungen Montalliers. Von Kempelen akzeptierte die Herausforderung eines Duells zwischen den beiden Automaten. Das Spiel könne in einem Monat stattfinden. Montallier möge alles in die Wege leiten, ließ von Kempelen ausrichten, den Hof um die Erlaubnis des Spiels bitten, die gewünschten Gäste einladen. Von Kempelen verlangte, im Hotel d’Aligre logieren zu dürfen, dort, wo er bei seinem letzten Besuch in Paris Unterkunft gefunden hatte. Der Wiener Hofbeamte kündigte eine Truppe von fünf Leuten an, Bedienstete nicht einberechnet. Alles lief perfekt nach Plan, beinah zu perfekt.
Ein Jahr war vergangen, seit von Kempelen mit seinem Schachtürken zum ersten Mal in Paris gewesen war und die Öffentlichkeit, den Hof und selbst die Schachspieler des ersten Ranges im Café de la Régence für mehrere Monate in Begeisterung versetzt hatte. Mit großem Wirbel, Zeitungsartikeln und vielen Gerüchten war Wolfgang von Kempelens Eintreffen damals in der Stadt angekündigt worden. Diesmal schien der Österreicher auf mehr Diskretion zu setzen. Außer dem Organisator Montallier wusste niemand, wann und wo der Erbauer des Schachtürken eintreffen sollte. Selbst als von Kempelen mit seiner Begleitung bereits im Hotel d’Aligre logierte, zirkulierte die Kunde nur im Café de la Régence, ohne an die große
Öffentlichkeit zu gelangen, aber das war Montallier nur recht. Er setzte alles auf das Duell in Versailles. Je kürzer die Aufregung vor diesem einzigartigen, vernichtenden Spiel, vor dem ersten und letzten Schachspiel in der Geschichte der Menschheit, das zwischen zwei erstaunlichen Automaten ausgetragen werden sollte, umso heftiger, umso überwältigender der Effekt.
Dieses Spiel, verkündete Montallier im Café de la Régence lautstark, wird den Hof und die versammelten Wissenschaftler erschüttern wie ein geistiges Erdbeben. Kempelen hat euch auf den Arm genommen! Ihr habt euch zu lächerlichen Erklärungsversuchen hinreißen lassen! Im blinden Glauben an die Wissenschaften habt ihr euch an eben dieser Wissenschaft vergangen! Es ist Zeit, dass die Masken fallen und dass all den naiven Geistern reiner Wein eingeschenkt wird! Im Gegensatz zu von Kempelen, der sich wie ein Trickkünstler aufführt und aus seiner Apparatur und seiner Darbietung ein Mysterium macht, werde ich Ihnen das Innere meines Automaten ausführlich erklären. Meine Damen und Herren, was ich zu bieten habe, ist nicht nur das Spiel meines Automaten gegen den Schachtürken und die Herausforderung seiner Spielkünste, nein, ich biete auch das Wissen um die Funktionsweise, auf das wir alle längstens ein Anrecht haben. Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was berechtigt einen so gelehrten und intelligenten Herrn wie von Kempelen, seine Entdeckung für sich zu behalten? Wenn er es geschafft hat, eine Maschine dem Menschen ebenbürtig das schwierigste Strategiespiel spielen zu lassen, das wir kennen, und wir alle haben vor einem Jahr mit eigenen Augen sehen können, dass dies der Fall ist, dann frage ich Sie, was
berechtigt diesen Mann, eine für die Menschheit so wichtige Entdeckung für sich zu behalten? Statt ein Mysterium daraus zu machen, wie von Kempelen es in seiner ganzen Arroganz zu kultivieren pflegt, könnte seine Entdeckung für nützliche Zwecke gebraucht werden, vielleicht sogar Menschenleben retten. Statt
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