Das Testament der Götter
er es untersuchte, stellte Paser eine Reizung fest. Der alte Arzt würde es zu behandeln wissen.
Das Haus war hell erleuchtet; Branir las gerne bei Nacht, wenn die Geräusche der Stadt verstummt waren. Paser drückte die Eingangstür auf, stieg, von seinem Hund gefolgt, in die Vorkammer hinab und hielt verdutzt inne. Branir war nicht allein. Er unterhielt sich mit einer Frau, deren Stimme der Richter sogleich erkannte. Sie, hier! »Tritt ein, Paser!«
In fieberhafter Eile kam der Richter der Aufforderung nach – und hatte nur noch Augen für Neferet, die im Schneidersitz vor dem alten Heiler saß und zwischen Daumen und Zeigefinger einen Leinenfaden hielt, an dem ein kleines, rautenförmig geschnittenes Stück Granit {24} baumelte. »Neferet, meine beste Schülerin; Richter Paser. Da ich euch nun einander vorgestellt habe, wirst du sicher etwas frisches Bier annehmen?«
»Eure beste Schülerin …«
»Wir sind uns bereits begegnet«, sagte sie belustigt. Paser dankte seinem Glück; sie wiederzusehen, berührte ihn zutiefst.
»Bevor sie ihre Kunst wird ausüben können, wird Neferet sich bald der allerletzten Prüfung unterziehen«, erinnerte Branir, »und deshalb wiederholen wir die Übungen des Auspendelns, die ihr auferlegt werden, um ihr zu helfen, ihren Befund zu stellen. Ich bin überzeugt, daß sie eine ausgezeichnete Ärztin wird, da sie zuzuhören versteht. Wer zuzuhören versteht, wird richtig handeln. Zuhören ist besser als alles, es gibt keinen größeren Schatz. Allein das Herz gewährt uns diese Gabe.«
»Ist nicht die Kenntnis des Herzens das Geheimwissen des Heilkundigen?« fragte Neferet. »Es ist das, was dir offenbart werden wird, wenn du als seiner würdig befunden bist.«
»Ich würde mich gerne ausruhen.«
»Das mußt du auch.«
Brav kratzte sich am Auge; Neferet bemerkte sein Treiben.
»Ich glaube, er ist krank«, sagte Paser. Der Hund ließ sich untersuchen. »Es ist nichts Ernstes«, schloß sie, »ein einfaches Augenwasser wird ihn heilen.« Branir holte es ihr augenblicklich; Augenerkrankungen waren ein häufiges Leiden, und es mangelte nicht an Heilmitteln. Die Arznei tat rasch ihre Wirkung; während die junge Frau Brav noch streichelte, schwoll sein Auge ab. Zum erstenmal war Paser auf seinen Hund eifersüchtig. Er suchte nach einer Möglichkeit, sie zurückzuhalten und mußte sich damit begnügen, ihr bei ihrem Aufbruch seinen Gruß zu entbieten. Branir tischte ihm ein ausgezeichnetes, am Vortag hergestelltes Bier auf. »Du erscheinst mir müde; an Arbeit dürfte es dir nicht fehlen.«
»Ich bin mit einem gewissen Qadasch aneinandergeraten.«
»Dem Zahnheilkundler mit den roten Händen … Ein umtriebiger Mann und rachsüchtiger, als es den Anschein hat.«
»Ich halte ihn der Entführung von Bauern für schuldig.«
»Stichhaltige Beweise?«
»Nur eine Vermutung.«
»Sei unerbittlich gewissenhaft in deinem Tun; Ungenauigkeit werden dir deine Oberen nicht verzeihen.«
»Erteilt Ihr Neferet häufig Unterricht?«
»Ich gebe ihr meine Erfahrung weiter, denn ich habe Vertrauen in sie.«
»Sie ist in Theben geboren, nicht wahr?«
»Sie ist die einzige Tochter eines Riegelherstellers und einer Weberin; kennengelernt habe ich sie, als ich die Familie gepflegt habe. Sie hat mir tausend Fragen gestellt, und ich habe ihre erwachende Neigung ermutigt.«
»Eine Frau als Heilkundige … Werden ihr nicht Hindernisse begegnen?«
»Feinde auch; doch ihr Mut ist nicht geringer als ihre Sanftheit. Der Oberste Arzt des Hofes hofft, wie sie weiß, auf ihr Scheitern.«
»Ein Widersacher von Gewicht!«
»Sie ist sich dessen bewußt; eine ihrer wesentlichen Eigenschaften ist ihre Zähigkeit.«
»Ist sie … verheiratet?«
»Nein.«
»Verlobt?«
»Meines Wissens, nein.«
Paser verbrachte eine schlaflose Nacht. Unaufhörlich dachte er an sie, hörte ihre Stimme, atmete ihren Duft, schmiedete tausend und eine List, um sie wiederzusehen, ohne indes eine befriedigende Lösung zu finden. Und unablässig kehrte dieselbe Furcht wieder: War er ihr gleichgültig? Er hatte bei ihr keinerlei Regung, lediglich zurückhaltende Anteilnahme für seine Stellung wahrgenommen. Selbst die Rechtspflege nahm einen bitteren Beigeschmack an; wie ohne sie weiterleben, wie ihre Abwesenheit hinnehmen? Niemals hätte Paser geglaubt, daß die Liebe ein solcher Strom wäre, der imstande war, alle Dämme einzureißen und das gesamte Sein zu überfluten.
Brav bemerkte die Verstörtheit seines Herrn; sein
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