Das Testament der Götter
demnach versprengt und vom Hauptheer abgeschnitten?«
»Möglich.«
Sethis lange, schwarze Haare tanzten im Wind. Trotz seines kräftigen Körperbaus und seines mächtigen Brustkorbs fühlte der junge Mann sich schwach und verletzlich.
»Zwischen ihm und uns stehen die Beduinen. Wie viele?«
»Zehn, hundert, tausend …«
»Mit zehn nehme ich es auf. Bei hundert zögere ich.«
»Tausend, Kleiner, um ein wahrer Held zu sein. Du wirst mich doch nicht im Stich lassen?« Der Offizier trieb die Pferde wieder an. Sie galoppierten bis zum Eingang einer mit Steilhängen gesäumten Schlucht. Dicht stand das an den Fels geklammerte Gesträuch und ließ nur eine enge Durchfahrt frei.
Die Pferde wieherten und bäumten sich auf; der Wagenführer beruhigte sie. »Sie spüren die Falle.«
»Ich auch, Kleiner. Die Beduinen kauern zwischen den Büschen. Sie werden versuchen, die Beine der Pferde mit Beilhieben durchzuhauen, uns zu Fall zu bringen und uns den Kopf und die Hoden abzuschneiden.«
»Der Preis des Heldentums scheint mir allzu hoch.«
»Dank dir laufen wir beinahe keine Gefahr. Einen Pfeil in jeden Strauch, eine wilde Fahrt, und wir gewinnen.«
»Seid Ihr sicher?«
»Zweifelst du etwa daran? Nachdenken ist schlecht.« Der Krieger zog an den Zügeln. Widerwillig preschten die Pferde in die Schlucht. Sethi hatte keine Zeit, Angst zu bekommen. Er schoß Pfeil auf Pfeil ab. Die beiden ersten verloren sich in unbesetzten Büschen, der dritte bohrte sich ins Auge eines Beduinen, der brüllend aus seinem Unterschlupf stürzte. »Mach weiter, Kleiner!«
Obwohl sich ihm die Haare sträubten und ihm das Blut in den Adern gefror, zielte er auf jedes Gesträuch, drehte sich nach links und dann nach rechts mit einer Schnelligkeit, deren er sich nicht fähig geglaubt hätte. Die Beduinen fielen, in den Bauch, die Brust, den Kopf getroffen.
Gestein und Gesträuch versperrten ihnen den Ausgang der Schlucht.
»Halt dich fest, Kleiner, wir springen!« Sethi hielt mit dem Schießen inne, um sich an die Kante des Kastens zu klammern. Zwei Feinde, die er nicht hatte durchbohren können, schleuderten ihre Äxte in Richtung der Ägypter. Mit vollem Lauf setzten die Pferde am niedrigsten Punkt über das Hindernis. Die Dornen zerkratzten ihnen die Beine, ein Stein ließ die Speichen des rechten Rades bersten, ein weiterer durchschlug die rechte Wand des Kastens. Der Streitwagen schwankte einen Augenblick; mit einem allerletzten Schwung überwanden die Pferde das Hindernis. Der Wagen legte mehrere Kilometer zurück, ohne langsamer zu werden. Durchgerüttelt und benommen klammerte Sethi sich an seinen Bogen und bewahrte nur mit großer Mühe sein Gleichgewicht. Außer Atem, schweißgebadet und mit dampfenden Nüstern blieben die Pferde schließlich am Fuße eines Hügels stehen. »Anführer!«
Eine Axt zwischen den Schulterblättern, brach der Offizier über den Zügeln zusammen. Sethi versuchte, ihn aufzurichten.
»Entsinne dich stets, Kleiner … die Feiglinge greifen immer hinterrücks an …«
»Ihr dürft nicht sterben, Offizier!«
»Nun bist du der einzige Held …« Die Augen brachen, und sein Atem erstarb. Lange drückte Sethi den Leichnam an sich. Der Wagenführer würde sich nicht mehr rühren, ihm nicht mehr Mut zusprechen, nicht mehr das Unmögliche versuchen. Er war allein, in einem feindseligen Land verloren, er, der Held, dessen Tugenden allein ein Toter rühmen konnte.
Sethi begrub den hohen Krieger, wobei er Sorge trug, sich die Stätte ins Gedächtnis einzuprägen. Falls er überleben sollte, würde er den Körper bergen und ihn nach Ägypten zurückbringen. Es gab kein grausameres Geschick für ein Kind der Beiden Länder, als fern seines Landes begraben zu sein. Den Rückweg anzutreten, hätte geheißen, erneut in die Falle zu gehen; vorzurücken barg die Gefahr, mit anderen Widersachern zusammenzustoßen. Er wählte dennoch die zweite Lösung in der Hoffnung, so schnell als möglich mit den Kriegern von Heerführer Ascher in Verbindung zu treten, vorausgesetzt, daß sie nicht vernichtet worden waren. Die Pferde waren bereit, die Fahrt wieder aufzunehmen. Falls ein erneuter Hinterhalt vor ihm lag, würde Sethi nicht gleichzeitig den Wagen lenken und seinen Bogen handhaben können. Mit zugeschnürter Kehle folgte er einem steilen Weg, der auf ein verkommenes Häuschen mündete. Der junge Mann sprang ab und ergriff ein Schwert. Rauch stieg aus einem einfachen Schlot auf. »Kommt heraus!«
Auf der Schwelle
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