Das Testament der Götter
erschien ein wild aussehendes Mädchen in Lumpen und mit schmutzigem Haar. Sie schwenkte drohend ein grobes Messer. »Sei unbesorgt und laß deine Waffe fallen.« Die Gestalt wirkte zerbrechlich, außerstande, sich zu verteidigen. Sethi ließ keine besondere Vorsicht walten. Als er dicht vor ihr stand, stürzte sie sich unversehens auf ihn und versuchte, ihm die Klinge ins Herz zu stoßen. Er wich geschickt aus, spürte jedoch sogleich einen brennenden Schmerz am linken Oberarmmuskel. Wie von Sinnen hieb sie erneut auf ihn ein.
Mit einem Fußtritt entwaffnete er sie und warf sie auf die Erde. Blut floß seinen Arm herunter. »Ganz ruhig, oder ich fessele dich.« Sie schlug wie eine Rasende um sich. Er drehte sie um und betäubte sie mit einem Handkantenschlag in den Nacken. Sein Umgang mit Frauen als junger Held nahm wahrlich eine schlechte Wendung. Dann trug er sie ins Innere des alten Gemäuers mit gestampftem Lehmfußboden. Modrige Wände, armseliger Hausrat, eine mit Ruß überzogene Feuerstelle. Sethi legte seine arme Beute auf einer löchrigen Matte ab und band ihr die Handgelenke und die Fesseln mit einem Strick.
Unversehens übermannte ihn die Müdigkeit. Er setzte sich mit dem Rücken zur Feuerstelle, den Kopf zwischen die Schultern gezogen; er zitterte wahrhaftig bis ins Mark. Die Angst drang ihm aus allen Poren.
Der Dreck widerte ihn an. Hinter dem Haus war ein Brunnen. Er füllte einige Krüge, reinigte seine Verletzung und putzte den einzigen Raum. »Auch du hast eine Wäsche dringend nötig.« Er besprengte die junge Frau, die sogleich aufwachte und schrie. Der Inhalt eines zweiten Krugs erstickte ihre Schreie. Als er ihr das schmutzige Gewand abstreifte, wand sie sich wie eine Schlange. »Ich will dich nicht vergewaltigen, Närrin!«
Verstand sie seine Absichten? Jedenfalls fügte sie sich. Wie sie da so nackt dastand, schien sie den Wasserschauer zu genießen. Als er sie abtrocknete, deutete sie ein Lächeln an. Die Helligkeit ihrer Haare überraschte ihn.
»Du bist hübsch. Hat man dich schon geküßt?« An der Art, wie sie die Lippen öffnete und die Zunge bewegte, sah Sethi, daß er nicht der erste war. »Wenn du mir versprichst, lieb zu sein, binde ich dich los.«
Ihre Augen flehten. Er nahm den Strick ab, der ihre Füße fesselte, streichelte ihre Waden, ihre Schenkel und legte seinen Mund auf die goldenen Locken ihres Geschlechts. Sie spannte sich wie ein Bogen. Mit freien Händen dann umschlang sie ihn.
Sethi hatte zehn Stunden lang einen traumlosen Schlaf geschlummert. Da seine Wunde pochte, war er mit einem Sprung auf den Beinen und trat aus dem Gemäuer.
Sie hatte seine Waffen geraubt und die Zügel des Wagens zerschnitten. Die Pferde waren entflohen. Kein Bogen, kein Dolch, kein Schwert, keine Stiefel, kein Überwurf mehr. Der Streitwagen versank unnütz im Schlamm, unter einem strömenden Regen, der seit dem Morgen fiel. Dem Helden, in den Rang eines von einer Wilden geprellten Trottels befördert, blieb nur noch übrig, zu Fuß gen Norden zu wandern.
Wutentbrannt zertrümmerte er den Wagen mit Steinen, damit er nicht in die Hände des Feindes fiel. Mit einem einfachen Schurz bekleidet, schritt Sethi, wie ein Esel bepackt, unter den unablässigen Regengüssen vorwärts: in einem Beutel altbackenes Brot sowie ein Stück der Deichsel, das eine hieroglyphische Inschrift mit dem Namen des Offiziers trug; Krüge mit frischem Wasser und die löchrige Matte. Er überwand einen Paß, durchquerte einen Pinienwald und stürmte einen steilen Abhang hinunter, der in einem See endete, welchen er an der Böschung umrundete.
Das Gebirge wurde unwirtlich. Nach einer Nacht im Schutz eines Felsens, an dem sich der Wind brach, erklomm er einen rutschigen Pfad und wagte sich in ein dürres Gebiet vor. Seine Lebensmittelvorräte waren rasch erschöpft. Er begann, Durst zu leiden. Als er sich endlich erquicken konnte, indem er einige Schlucke aus einem Pfuhl brackigen Wassers trank, hörte Sethi plötzlich Äste knacken. Mehrere Menschen näherten sich. Er kroch hinter den Stamm einer riesigen Pinie, um sich zu verbergen. Fünf Männer stießen einen Gefangenen mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor sich her. Ihr Anführer, von kleinem Wuchs, packte ihn an den Haaren und zwang ihn niederzuknien. Sethi war zu weit entfernt, um zu hören, was er sagte, doch die Schreie des Gemarterten brachen bald die Stille des Gebirges. Einer gegen fünf und dazu noch unbewaffnet … der junge Mann hatte
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