Das Testament des Satans
ankommt.
»Hohin ringt ihr ngich?«, frage ich Aimery neben mir, als wir den Hof in westlicher Richtung verlassen und auf einem unbefestigten Trampelpfad oberhalb der spitzgiebeligen Schieferdächer des Dorfes an der Abtei entlanggehen.
Das Dorf scheint nur aus versetzt aneinandergebauten Dächern zu bestehen. Links windet sich eine steile Treppe an einem winzigen ummauerten Garten vorbei in eine schmale Gasse zwischen zwei beinahe übereinandergestapelten Häusern. Unten in der Grande Rue und in den steilen Seitengässchen brennen nur wenige Sturmlaternen. Die Häuser sind dunkel. Die Montois schlafen. Genauso wie die königlichen Bogenschützen in der Maison de l’Arcade, die den Mont gegen einen Angriff der Engländer verteidigen sollen. Sie stehen unter dem Befehl des Bailli, des Stellvertreters von Louis d’Estouteville, der unten im Dorf lebt und oben in der Abtei ein Arbeitszimmer hat. Er arbeitet eng mit Yannic zusammen.
Ich blicke nach oben: Hoch über mir, jenseits der wogenden Wipfel, stößt die Residenz der Äbte bis hinein in die Sturmwolken.
»Ist nicht weit!«, nuschelt Aimery.
Ich lache trocken. Wie auch – auf einer Insel, die zweihundertfünfzig mal dreihundert Schritte groß ist?
Im Weitergehen wende ich mich um und blicke über meine Schulter zurück. In einer Zweierreihe folgen mir die Fratres mit ihren Fackeln. Lucien singt einen Psalm, und die anderen fallen in den frommen Gesang ein. Wie eine feierliche Prozession für Saint-Michel, denke ich. Nicht wie eine Hinrichtung.
Ein seltsam kaltes, lähmendes Gefühl strömt mit leisem Prickeln durch meinen Körper.
Der Weg führt noch hundert Schritte geradeaus, unter den Stützen des eingestürzten Anbaus hindurch, wo Robin und Raymond in diesem Augenblick Conans Leichnam in die Totenkapelle tragen. Dann windet er sich um den schroffen Granitfelsen herum und fällt steil ab zum Meer. Dort endet er an einer kleinen Hafenmole. Die gischtigen Wellen werfen sich gegen die Granitfelsen. Yannics Boot schwankt auf den Wellen und zerrt an der straff gespannten Kette, mit der es festgemacht ist.
Jourdain gibt mir einen Stoß in den Rücken und zeigt mir die Richtung: nach rechts.
Lucien drängt sich an ihm vorbei und fasst mich am Arm. »Ich führe dich.« Er strahlt mich an und nimmt mir den Knebel aus dem Mund. »Wir müssen über die Granitfelsen klettern, siehst du? Pass auf, das Moos ist glitschig.«
»Warum tust du das?«
Er antwortet nicht. Als ich ausrutsche, packt er mich und zieht mich hinter sich her zur Saint-Aubert-Kapelle, die mittlerweile von der Flut umspült ist.
Auf der ummauerten Terrasse vor der kleinen Kapelle aus Granit versammeln sich wenig später die Mönche, die nacheinander über die Felsen klettern, auf dem Hintern einen steilen Absturz hinunterrutschen und schließlich die schmale Treppe heraufkommen. Die Saint-Aubert-Kapelle ist eigentlich nur bei Ebbe über das Watt zugänglich.
Abelard hockt sich auf die Mauer, schwingt die Beine hinüber und gleitet hinunter auf einen nassen Felsen. Ein, zwei tastende Schritte nach rechts, in Richtung Kapelle, dann zieht er etwas an einer langen rostigen Kette heran.
Ich blinzele gegen den Sturm, der mir winzige Eiskristalle ins Gesicht weht. Es ist ein kleiner Käfig aus geflochtenem Draht. Eine Reuse für Krabben und Hummer.
»Steig auf die Mauer!«, befiehlt mir Corentin.
Lucien legt seinen Arm um mich und hilft mir hinauf.
Ich drehe mich zu Yannic um, aber er sieht mich nicht an. Mein Herz krampft sich zusammen.
Corentin blickt zu mir auf. »Gestehe deine Tat!«
Die ängstliche Sorge, ein Geständnis zu erhalten, ist nur zu verständlich. Der Papst wird ihm den Kopf abreißen.
»Ich habe nichts zu gestehen.«
»Widersage dem Satan, der dich in seiner Gewalt hat.«
»Ich bin nicht besessen. Ich bin unschuldig an Conans Tod.«
»Dann möge Gott dein Richter sein.«
»Und deiner, Corentin de Sévérac. Möge er sich deiner verdammten, verrottenden Seele erbarmen.« Ich nicke zum überwucherten Felssturz hinter ihm. »Ich habe Vittorinos Leichnam gefunden. Und sein Notizbuch.«
Er stößt einen bretonischen Fluch aus – wie gern hätte ich jetzt seine Höllenfratze gesehen, ohne Gaze, ohne Maske.
»Abelard!«, faucht er wütend. »Steck sie in den Käfig!«
Der Frater zieht die tonnenförmige Reuse aus den Wogen und wuchtet sie neben sich auf einen Felsgrat. Im Innern des festen Drahtgeflechts hängen Reste von Makrelen als Köder – der ölige Gestank ist
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