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Das Testament des Satans

Das Testament des Satans

Titel: Das Testament des Satans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Inquisition hat sie vor zwei Jahren zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Aber der Papst hat sie aus dem Feuer gerettet«, sagt Corentin zu den Fratres, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. »Dieses Mal kann nur Gott selbst sie aus den tosenden Fluten retten.«
    Allmächtiger Gott, steh ihr bei! Das ist ihr Todesurteil.

Alessandra
Kapitel 45
    Vor dem Portal des Châtelets im Saal der Wachen
Gegen drei Uhr morgens,
kurz vor dem höchsten Stand der Flut
    »Öffnet das Tor!« Yvains Stimme hallt wie ein Beben durch den Saal der Wachen. Der in Stufen ansteigende Raum im Châtelet, der sich zur Abteitreppe und zum Hof der Merveille öffnet, ist erfüllt vom aufgeregten Geschnatter der Mönche.
    Ein lautes Krachen dringt durch den Saal. Der Riegel wird zurückgeschoben. Rumpelnd wird das Portal der Abtei von zwei Mönchen aufgeschoben.
    Meine Hände sind gefesselt. Angstvoll wende ich mich zu Yannic um.
    Ernst und eindringlich redet er auf Robin und Padric ein, doch die schütteln immer wieder den Kopf und wenden sich ab. Ich glaube, Yannic spürt, dass ich ihn ansehe, aber er weicht meinem Blick aus. Er kann mir nicht in die Augen sehen. Hat er sich von mir abgewandt? Hat er der tyrannischen Macht der hysterischen Masse nachgegeben, die Corentin hinterhertrabt? Ist er zum Täter geworden, um nicht selbst zum Opfer gemacht zu werden?
    In diesem Augenblick hasse ich ihn von ganzem Herzen, ich kann nicht anders. Dieser Mistkerl!
    Geschrei brandet auf, als Corentin die Stufen zum Portal hinuntersteigt und vor mir stehen bleibt. Die Augen unter der Ledermaske schimmern wie schwarzer Obsidian. Tot. Und kalt.
    »Hohin herhe ich hechracht?«, nuschele ich mit dem zerknüllten Tuch im Mund.
    Er lacht nur, lässt mich stehen und geht zum Portal hinunter.
    Jourdain packt mich an der Schulter und stößt mich vor sich her zum Tor des Châtelets.
    Je weniger die Masse vernünftig denken kann, desto mehr handelt sie zu allem entschlossen. Entfesselte Massen fühlen die Verantwortung nicht mehr, denn die Gesamtschuld aller ist aufgeteilt. Das wirkt enthemmend und flößt dem Einzelnen das berauschende Gefühl von Macht, Recht und Unbesiegbarkeit ein. Die Herrschaft der Masse bedeutet immer nur Zerstörung, Auflösung und Anarchie. Und ist die entfesselte Masse erst einmal in Bewegung, ist sie kaum noch aufzuhalten.
    Vorwärts gestoßen von Jourdain stolpere ich die lange und steile Treppe hinunter in den Hof des Châtelets. Über mir ragen die Zwillingstürme der Abtei in den wolkenzerwühlten Sturmhimmel. Vor mir, hinter einem Torbogen, führt Le Gouffre, der Höllenschlund, hinunter zur Grande Rue des kleinen Dorfes zu Füßen der Abtei: eine lange Treppe, die im Licht der Blitze tatsächlich in die tiefste Hölle hinabzuführen scheint.
    Durch den Torbogen kann ich die Insel Tombelaine sehen, wie sie über dem sturmgepeitschten Meer zu schweben scheint. Und dahinter flackern die Sturmlaternen der Prieuré de Genêts.
    Sir Eoghan Walleys. Wie lauteten die verschlüsselten Leuchtsignale, die von der Tombelaine an Jourdain gesendet wurden? Wo ist Eoghan jetzt?
    Ich kaue auf dem Knebel herum. Wenn ich ihn mit Zunge und Gaumen zerdrücke, kann ich ihn vielleicht ausspucken.
    Die Mönche versammeln sich im Hof wie zu einer Festprozession. Ihre Fackeln sehen aus wie die Flammen der Hölle. Aimery drückt Yannic einen brennenden Kienspan in die Hand. Er sieht mich immer noch nicht an.
    Wie hat mein Vater damals geschrieben? ›Es steht dem Menschen frei, sich in seinem Denken und Handeln zu Gott zu erheben, um ihm ähnlich zu werden, oder zur teuflischen Bestie zu entarten. Das Böse steckt im Menschen selbst. In jedem von uns …‹
    Ich blicke mich um. Luca hatte recht: Als Teil einer enthemmten Masse steigt der Mensch, so gebildet und besonnen er auch sein mag, mehrere Stufen des Menschseins hinab und wird zur Bestie, die nur ihren Trieben gehorcht. Und diese Triebe schützen ihn vor Zweifeln. Ein Verdacht wird zur Gewissheit, Furcht und Verunsicherung werden zu loderndem Hass. Und lodernder Hass wird zu Gewalt.
    Corentin hat sie völlig in seinen Bann geschlagen. Er missbraucht sie skrupellos, um mich zu vernichten. Er formt sie zu einem Wesen mit einer Seele und einem Ziel, sagt ihnen, wie sie denken, fühlen und handeln sollen, verwirrt ihren Verstand, macht ihnen Angst, entflammt ihre Leidenschaft, hetzt sie gegen mich auf und versteckt sich anschließend in einem gottesfürchtigen ›Wir‹, gegen das der Papst nicht

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