Das Testament des Satans
knirschende Geröll zum Portal schlurfen.
»Père Yvain?«
Er sieht mich an, erschöpft, verzweifelt. »Ich lasse die Totenmesse für Frère Conan, Frère Raymond und Frère Abelard vorbereiten. Und für den anderen Toten im Gerichtssaal.«
»Ist gut.«
Ich bleibe allein zurück.
Nein, nicht ganz.
Corentin tritt aus den Schatten der Arkaden, geht zum Portal hinüber und schließt es hinter Yvain. Dann legt er den Riegel vor und schließt uns ein. Während er die Maske abnimmt und die blutige und eitrige Gaze vom Gesicht zieht, kommt er zu mir herüber.
»Yann, mein lieber Junge. Wir müssen reden …«
Alessandra
Kapitel 63
Vor dem Portal der Krypta Notre-Dame-sous-Terre
Viertel nach fünf Uhr morgens
Sobald Yvain die Galerie verlassen hat, um den anderen in die Totenkapelle zu folgen, husche ich zurück zum Portal.
Was, zur Hölle, hat Yannic mit Corentin zu besprechen?
Ich presse mein Ohr gegen das Holz.
»… dir beichten, mein Junge.«
Plötzlich ein Knirschen. Als stapfe Yannic über das Geröll.
»Yann?«
»Ihr seid exkommuniziert, Corentin.« Yannics Stimme klingt dumpf. »Ich kann Euch keine Absolution erteilen.«
»Yann, bitte!«
Ein entnervtes Schnaufen.
»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen«, murmelt Corentin und kniet, dem Knistern der scharfkantigen Steine nach zu urteilen, vor Yannic nieder.
»Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit.«
»Amen.«
»Nun?« Yannic klingt angespannt. Enttäuscht. Zornig.
»Ich bereue von ganzem Herzen …«, beginnt Corentin seine Beichte, als plötzlich Yvain aus der Totenkapelle zurückkehrt und keine fünf Schritte von mir entfernt um die Ecke biegt.
Als er mich vor dem Portal der Krypta entdeckt, bleibt er überrascht stehen und starrt mich an. Dann schnellt er herum und hastet zurück, um die anderen zu alarmieren.
Ich packe die Teufelsbibel und stürme die Stufen hinauf ins Promenoir. Als ich an der Treppe zur Salle de l’Aquilon vorbeihetze, kann ich sie die Stufen heraufpoltern hören.
Die Treppengalerie. Wohin jetzt? Nach rechts die Treppe hinauf zum Hof zwischen Kreuzgang und Kirche? Nein! Geradeaus ins Cachot du Diable? Nein! Also nach links in den Gang zwischen Scriptorium und Gästesaal.
Hinter mir eilen die Mönche ins Promenoir, während ich mich durch die Finsternis des schmalen Ganges taste. Dann stehe ich in der Galerie. Die Türen zum Gästesaal stehen offen. Die Stundenkerze brennt noch immer.
Ich haste durch den Saal und erreiche schließlich die Chapelle Sainte-Madeleine. Das Portal zum Gärtchen ist nicht verriegelt. Und jetzt? Nach rechts zur Krypta der dicken Pfeiler? Oder … Der Regen prasselt mir ins Gesicht. Nach links! Über die mit vom Sturm abgerissenen Zweigen und nassen Blättern bedeckte Treppe hinunter in den Hof zwischen der Merveille und dem Châtelet.
Ich kann sie hinter mir hören, ganz nah.
Nach rechts, in den Saal der Wachen. Durch einen offenen Torbogen. Weiter, über die Stufen nach unten. Dann stehe ich vor dem Portal der Abtei und wuchte keuchend den schweren Riegel zur Seite. Aber ich kann das Tor nicht öffnen.
Mit aller Kraft zerre ich daran.
Aber es rührt sich nicht.
Ein panischer Blick zurück: Sie kommen. Sie sind schon da.
Wohin jetzt?
Im letzten Augenblick entdecke ich die Tür neben dem Kamin. Ich hetze durch den Saal der Wachen die Stufen hinauf, den Verfolgern entgegen, stoße die Tür auf, verriegele sie hinter mir und stürme hinauf in den Saal des Gerichts.
Am Ende der Treppe bleibe ich erschrocken stehen.
Mitten im Saal liegt ein nackter Mann auf dem Boden. Zwischen seinen gespreizten Beinen liegt in einer Lache aus Blut ein abgetrennter Kopf mit rotblondem Haar, das zu blutverklebten Zöpfchen geflochten ist.
Eine furchtbare Ahnung lässt mich zittern wie in einem Eissturm. Mit weichen Knien gehe ich weiter. Heiße Tränen rinnen mir über das Gesicht, Tränen der Hoffnungslosigkeit, der Trauer und des Zorns, als ich das blutige Schwert aufhebe.
Das zweite Siegel.
Von unten hallt ein lautes Rumpeln die Treppe herauf – sie brechen die Tür auf!
Yannic
Kapitel 64
In der Krypta Notre-Dame-sous-Terre
Gegen halb sechs Uhr morgens
Nach der erschütternden Beichte wendet Corentin sich ab und zieht die Gaze wieder vor sein Gesicht.
Ich bin wie zu Eis erstarrt. Meine Fingerspitzen schmerzen, als wären sie erfroren. Eiskristalle rieseln mir über den Rücken, während ich vor
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