Das Testament des Satans
rinnen mir über das Gesicht, als ich das blutige Schwert aufhebe.
Das Rumpeln am Ende der Treppe wird lauter. Sie brechen die Tür auf!
Gehetzt blicke ich mich um. Wohin?
Da vorn, in der rechten Seitenwand des Saals, ist eine Tür. Mit dem Satanskodex in der einen und Eoghans Schwert in der anderen Hand laufe ich los.
Hinter der Tür beginnt ein Gang, doch der endet an einer gewundenen Treppe zum Wehrturm. Also zurück! Da ist noch ein Durchgang zu einer Treppe. Hinunter! Das Arbeitszimmer des Bailli, des Stellvertreters von Louis d’Estouteville. In einer Ecke des Raums befindet sich die Tür zu einer Wendeltreppe. Sie führt zur hölzernen Brücke, die hinüberreicht zur Krypta der dicken Pfeiler. Kurz nach Mitternacht ist Corentin vor mir über diesen Übergang geflüchtet.
Während ich über den Abgrund der Abteitreppe hinweg in die weihrauchvernebelte Krypta haste, kann ich meine Verfolger hinter mir ins Arbeitszimmer des Bailli poltern hören.
Weiter!
Ich verlasse die Krypta der dicken Pfeiler und hetze am Gärtchen vorbei die Stufen hinunter in den Hof der Merveille.
Vor mir ragt das Châtelet mit dem Portal der Abtei in den Nachthimmel. Von dort dringen Stimmen zu mir. Schritte nähern sich.
Ich werfe mich herum und husche durch den niederprasselnden Eisregen zum Almosensaal.
Die Fenster!
Hastig steige ich die Stufen hinauf zur Fensterbank in der spitzbogigen Nische und spähe durch die rautenförmig gefassten Scheiben hinab auf Le Gouffre, den Höllenschlund. Die Treppe windet sich steil hinunter ins Dorf.
Ich muss zum Bailli. Er kennt das päpstliche Breve und das königliche Geleitschreiben. Er weiß, wer ich bin. Nur Raoul de Beauvoir kann mir noch helfen.
Mit der Klinge schlage ich die Scheibe ein, biege das Geflecht der Bleifassungen zur Seite, lehne mich hinaus und spähe hinunter.
Es ist viel zu tief für einen Sprung.
Geschrei im Hof: Meine Verfolger kommen näher.
Kurz entschlossen springe ich von der Fensterbank, eile in den benachbarten Keller, schiebe das Liber Secretorum Diaboli hinter das Fässchen mit Whisky, schneide das Seil los, das seit meinem Abstieg über die Rampe am Laufrad befestigt ist, und hetze zurück zum Fenster, wo ich es an einer Querverstrebung unterhalb des Spitzbogens verknote. Dann werfe ich es hinunter, steige rückwärts durch das schmale Fenster und lasse mich auf der anderen Seite hinunter.
Ich bin fünf oder sechs Ellen unterhalb des Fensters, da erscheint ein Gesicht über mir. Jourdain? Oder Padric? Im prasselnden Regen muss ich blinzeln, sodass ich ihn nicht erkennen kann. Das Seil, das mir heiß und schmerzhaft durch die Finger gleitet, beginnt zu rucken. Der Mistkerl da oben schneidet mit seinem Dolch daran herum! Ich blicke nach unten. Noch zehn Ellen. Das Seil beginnt sich zu drehen, als die ersten Hanfstränge durchtrennt sind. Er stochert immer noch an dem Seil herum.
Schneller! Noch acht Ellen.
Dann reißt das Seil. Und ich stürze in den finsteren Höllenschlund.
Yannic
Kapitel 66
In der Krypta Notre-Dame-sous-Terre
Kurz nach halb sechs Uhr morgens
Erschrocken betrachte ich das glühende Schwert in meinen Händen. Es fühlt sich warm an, als sei es eben erst im Feuer der Hölle geschmiedet worden.
Noch nie habe ich ein so schönes Schwert gesehen. Trotz seines Gewichts liegt es gut in der Hand. Der Griff aus Gold ist mit kostbaren Juwelen verziert. Den Knauf bildet ein mir unbekannter schwarzer Stein. Die lange zweischneidige Klinge besteht aus einem Metall, das geheimnisvoll schimmert und seltsame Flecken aufweist. Es ist … Ich streiche mit dem Finger darüber … Es ist kein Rost. Es ist getrocknetes Blut. Schwarzes Blut.
Das Blut des Satans.
Ich reibe meine Fingerkuppen aneinander: Eine klebrige Schicht überzieht die scharfe Klinge. Ich glaube, dass Abelard mit diesem Schwert ermordet wurde.
Ich atme tief durch. Kein Zweifel, ich halte das Flammenschwert des gefallenen Engels in Händen, mit dem er gegen Sant Mikael kämpfte, der ihn besiegte und auf den Mont hinabschleuderte, das Tor zwischen Himmel und Hölle.
Schaudernd halte ich die Klinge ins Licht und entziffere die uralte Inschrift.
Entsetzen verdunkelt meinen Blick.
Das Testament des Satans. Sein Vermächtnis, von ihm selbst in der Hölle niedergeschrieben.
Ein Gefühl der Ohnmacht, der Verzweiflung, der Trauer macht sich in meinem Innern breit und wird übermächtig. Conan, der vor wenigen Stunden an dieser Stelle kniete, muss ähnlich empfunden haben wie ich.
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