Das Testament eines Excentrischen
nicht darum, Landschaften zu sehen und Bilder zu malen, sondern als Partner, nicht aber als Künstler zu reisen. Seiner Ansicht nach hatte die von William I. Hypperbone erklügelte Partie die Bedeutung einer nationalen Frage, die es verdiente, ernst genommen zu werden. Ging einer der »Sieben« nicht mit allem Eifer, mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft daran, so war das eine Nichtachtung der großen Mehrzahl der Bürger des freien Amerika. Die Folge dieser Betrachtungen war denn auch, daß keiner der enttäuschten Anwesenden sich entschloß, denselben Zug zu besteigen, um Max Real wenigstens bis zu dessen erstem Ziele zu begleiten und ihm sozusagen als Schrittmacher zu dienen. Die Bahnwagen füllten sich nur mit Leuten, die aus geschäftlichen Gründen von Chicago weggerufen wurden.
Max Real konnte es sich also ganz nach Belieben auf einer der Bänke bequem machen, und Tommy konnte noch neben ihm Platz nehmen, denn die Zeit war vorbei, wo die Weißen die Anwesenheit eines Farbigen in ihrem Wagenabtheil nicht geduldet hätten.
Endlich ertönte die Pfeife, der Zug setzte sich in Bewegung und die mächtige Locomotive athmete fauchend durch ihre oben erweiterte Esse, aus der mit Dampf vermischte Funkengarben emporsprühten.
Unter der auf dem Bahnsteig zurückgebliebenen Menge aber hätte man den Commodore Urrican bemerken können, der dem ersten Abreisenden drohende Blicke nachschleuderte.
Was die Witterung betraf, ließ sich die Reise schlecht an. Man darf nicht vergessen, daß in Amerika unter dieser Breite – obwohl sie der des nördlichen Spanien entspricht – der Winter im April noch nicht zu Ende ist. Ueber den weiten, von keinem Berge unterbrochenen Landstrecken hält er bis zu dieser Zeit des Jahres an, und die aus den Polargebieten heranziehenden atmosphärischen Strömungen machen sich da oft noch recht empfindlich bemerkbar Weicht später die Kälte auch vor den Strahlen der Maisonne, so toben doch Stürme noch häufig genug. Auch heute verhüllten niedrig stehende Wolken, aus denen der Regen bald herunterprasselte, den Horizont und zogen ihm recht enge Grenzen. Das war recht verdrießlich für einen Maler, der Lichteffecte und sonnige Landschaften zu sehen wünscht. Immerhin war es rathsamer, die Vereinigten Staaten im zeitigen Frühjahr zu durchstreifen, denn später herrscht dort oft eine unerträgliche Hitze. Es war ja auch zu erwarten, daß das schlechte Wetter nicht über den laufenden Monat hinaus anhalten werde, und schon verkündeten einzelne Anzeichen eine bevorstehende klimatische Aenderung.
Hier noch ein Wort über den jungen Neger, der schon seit zwei Jahren bei Max Real in Diensten stand und diesen auf seiner, an Ueberraschungen jedenfalls reichen Fahrt begleiten sollte.
Wie der Leser weiß, war es ein siebzehnjähriger, also frei geborener Jüngling, da die Emancipation der Sclaven bereits vor mehr als dreißig Jahren bei Beendigung des großen Bürgerkrieges, zur Ehre Amerikas und der Menschlichkeit, erfolgt war.
Der Vater und die Mutter Tommy’s lebten zur Zeit der Sclaverei als Eingeborene des Staates Kansas, wo der Kampf zwischen Abolitionisten und virginischen Farmern besonders heftig getobt hatte. Tommy’s Eltern war – es verdient das hervorgehoben zu werden – kein so hartes Los beschieden gewesen, sie hatten ein besseres Dasein gehabt, als viele ihresgleichen. Unter einem guten Herrn, einem mitfühlenden und gerechten Manne stehend, hatten sie sich fast wie zur Familie gehörig betrachtet. Als dann das Gesetz, das die Sclaverei aufhob, erschien, wollten sie ihren Herrn ebensowenig verlassen, wie diesem der Gedanke kam, sich von ihnen zu trennen.
Tommy war also von Geburt an frei, und nach dem Tode seiner Eltern und ihres Herrn fühlte er sich – war es ein Einfluß von Atavismus oder der Erinnerung an die glücklichen Tage der Kindheit – sehr bedrückt, als er plötzlich dem Leben und dessen Bedürfnissen ganz allein gegenüberstand. Vielleicht begriff sein junges Gehirn noch nicht die Vortheile, die der große Act der Emancipation ihm sicherte, wenn er nur auf seine eigene Kraft, sich durchs Leben zu schlagen, angewiesen war, wenn er an den nächsten Tag denken mußte, er, der sich niemals um die Zukunft bekümmert hatte und für den die Gegenwart alles war. Es giebt thatsächlich solche arme Farbige noch weit mehr, als man wohl allgemein glaubt, die es – sie sind eben Kinder geblieben – beklagen, daß sie freie Diener geworden sind, nachdem sie früher Sclaven
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