Das Testament eines Excentrischen
tausendmal zuviel gethan, Herr Kymbale, das verdien’ ich ja gar nicht…
– Doch, doch! Mindestens hab’ ich Dir noch meinen Dank auszusprechen, denn ohne Deinen Eifer, Deine Ergebenheit, wär’ ich zu spät angekommen und hätte mich aus der Partie ausgeschlossen gesehen – es fehlten daran ohnehin nur zehn Minuten!«
Isidorio hörte die schmeichelhafte Rede ruhig und nach Gewohnheit für sich lächelnd an.
»Schön, daß Sie zufrieden sind, Herr Kymbale, antwortete Isidorio, ich bin es auch.
– Und zwei machen ein Paar, wie unsere Freunde, die Franzosen, sagen, Isidorio.
– Ja freilich, ganz wie bei den Zugpferden…
– Richtig. Doch das Papier, das ich Dir gegeben habe, verwahre ja recht sorgfältig, Hörst Du mich dann vor der ganzen Welt als den Sieger im Match Hypperbone verkündigen, so begieb Dich nach Clifton, besteige den Schnellzug, der Dich nach Chicago befördert, und stelle Dich an unserer Casse vor. Du kannst ruhig sein, ich werde meine Unterschrift schon einlösen!«
Isidorio zog den Kopf ein wenig ein, kraute sich die Stirn und blinzelte mit den Augen, wie einer, der noch unentschlossen ist, ob er sprechen soll oder nicht.
»Nun, fragte da Harris T. Kymbale, meinst Du, noch nicht hinreichend belohnt zu sein?
– O gewiß, versicherte Isidorio. Doch… jene hunderttausend Dollars… ja, die hängen doch immer… davon ab… daß Sie gewinnen.
– Aber ich bitte Dich, guter Freund, bedenke doch, kann es denn anders sein?
– Ja, warum nicht?
– Nun sieh, könnt’ ich Dir überhaupt eine solche Summe verschreiben, wenn ich die Erbschaft nicht einsteckte?
– Ja, das versteh’ ich, Herr Kymbale, das versteh’ ich sogar recht gut. Dennoch gäb’ ich den Vorzug…
– Was denn?
– Baaren hundert Dollars.
– Hundert statt einmalhunderttausend?
– Ja gewiß, versicherte Isidorio ruhig. Wissen Sie, ich lieb’ es nicht, auf den Zufall zu rechnen, und hundert baare Dollars, die Sie mir gleich gäben… das wäre doch etwas Sichereres…«
Wirklich zog Harris T. Kymbale, der seine Freigebigkeit vielleicht schon ein wenig bereute, hundert Dollars aus der Tasche und händigte sie diesem neumexikanischen Weltweisen ein, der das vorher erhaltene Papier zerriß und die Stücke davon zurückgab.
Der Reporter fuhr nun unter lauten Wünschen für glückliche Reise ab und verschwand im Galopp durch die Hauptstraße von Santa-Fé. Diesmal hätte sich, wenn eine ähnliche Veranlassung wiederkehrte, der neue Wagenlenker jedenfalls nicht als ein solcher Philosoph benommen, wie sein Kamerad.
Und als die anderen Kutscher Isidorio wegen seines auffallenden Entschlusses fragten, antwortete er schmunzelnd:
»Ach was! Hundert Dollars… das sind doch hundert Dollars. Ich hatte eben kein Vertrauen zu der ganzen Sache. Der Mann war seiner selbst zwar sehr sicher, doch glaubt mir, ich verwettete auf ihn keine fünfundzwanzig Cents.«
Elftes Capitel.
Jovita Foley in tausend Aengsten.
Ihrer gelosten Nummer nach war Lissy Wag die fünfte in der Reihe der Abreisenden. Neun Tage sollten also vergehen zwischen dem, wo Max Real Chicago verlassen hatte, und dem, wo sie von der Hauptstadt von Illinois aufbrechen sollte.
Mit welcher Ungeduld verbrachte sie aber diese endlose Woche, oder richtiger, verbrachte sie Jovita Foley an ihrer Statt. Es gelang ihr gar nicht mehr, sie zu beruhigen. Ihre Freundin aß nicht mehr, sie schlief, ja sie lebte fast gar nicht mehr. Die Reisevorbereitungen waren schon am Tage nach dem ersten Würfeln, dem 1. Mai, gleich von früh acht Uhr an begonnen worden, und zwei Tage später nöthigte sie Lissy Wag, sie nach dem Saale des Auditoriums zu begleiten, wo im Beisein einer wie früher zahlreichen und erregten Zuschauermenge zum zweitenmal gewürfelt werden sollte. Weiter wiederholte sich dasselbe Schauspiel am 5. und am 7. Mai zum dritten-und zum viertenmale. Noch achtundvierzig Stunden, dann sollte sich das Schicksal der beiden Freundinnen entscheiden, denn man trennte sie schon gar nicht mehr von einander: die beiden jungen Mädchen bildeten nur eine einzige Person.
Das ist indeß dahin zu verstehen, daß Jovita Foley die Lissy Wag sozusagen ganz in sich aufgehen ließ. Letzterer fiel nur noch die Rolle des klugen und vernünftigen Mentors zu, auf den man nie hören mag.
Der von Herrn Marshall Field seiner zweiten Cassierin und seiner ersten Verkäuferin gewährte Urlaub hatte natürlich schon am 16. April, am Tage nach der Testamentsverlesung, seinen Anfang genommen.
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