Das Testament
nur mit Mühe erinnern konnte. Sie holten Josh aus einer Besprechung. »Leg los, Nate«, sagte er. »Wie geht es dir?«
»Das Fieber ist vorbei«, sagte er, in Valdirs Lehnstuhl schaukelnd. »Ich fühle mich großartig. Ein bißchen müde und mitgenommen, aber sonst prima.«
»Es klingt auch danach. Du solltest zurückkommen.«
»Lass mir ein paar Tage.«
»Ich schicke eine Düsenmaschine, Nate. Sie fliegt heute Abend ab.«
»Tu das nicht, Josh. Es ist keine gute Idee. Ich komme, wenn mir danach ist.«
»Von mir aus. Erzähl mir von der Frau, Nate.«
»Wir haben sie gefunden. Sie ist Troy Phelans uneheliche Tochter und will von dem Geld nichts wissen.«
»Und wie hast du es geschafft, sie zu überreden, dass sie es doch nimmt?«
»Josh, diese Frau kann man zu nichts überreden. Ich habe es versucht, aber nichts erreicht und aufgegeben.«
»Na hör mal, Nate! Niemand lässt so viel Geld einfach sausen. Du hast ihr doch bestimmt klarmachen können, wie unvernünftig das wäre.«
»Keine Chance, Josh. Sie ist der glücklichste Mensch, den ich je kennengelernt habe, und vollkommen bereit, den Rest ihres Lebens bei den Indianern zuzubringen. Dort hat Gott sie abgestellt. «
»Aber die Papiere hat sie doch unterschrieben?«
»Nein.«
Eine längere Pause trat ein, während Josh diese Mitteilung verdaute. »Du machst Witze«, sagte er schließlich so leise, dass es in Brasilien kaum hörbar war.
»Nein. Tut mir leid, Chef. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, sie dazu zu bringen, dass sie zumindest die Papiere unterschrieb, aber sie wollte nicht. Sie wird sie nie unterschreiben.«
»Hat sie das Testament gelesen?«
»Ja.«
»Und hast du ihr gesagt, dass es sich um elf Milliarden Dollar handelt?«
»Ja. Sie lebt allein in einer Hütte mit einem Strohdach, ohne sanitäre Einrichtungen und Strom, hat kaum Ansprüche an Nahrung und Kleidung, kein Telefon und kein Fax und macht sich nicht im geringsten Sorgen um das, was ihr fehlen könnte. Sie lebt in der Steinzeit, Josh, und genau da möchte sie auch leben. Und Geld würde das verändern.«
»Unfassbar.«
»Das hab ich auch gedacht, und ich war selbst da.«
»Ist sie klug?«
»Sie ist promoviert, Josh, eine Ärztin. Außerdem hat sie einen Abschluß von ihrem Missionsseminar und spricht fünf Sprachen. «
»Sie ist Ärztin?«
»Ja, aber wir haben uns nicht über Kunstfehlerprozesse unterhalten.«
»Du hast gesagt, dass sie wunderschön sei.«
»Habe ich das?«
»Ja, vor zwei Tagen am Telefon. Ich glaube, da hast du unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden.«
»Stimmt. Aber ich nehme kein Wort zurück.«
»Heißt das, du magst sie?«
»Wir sind Freunde geworden.« Es hätte keinen Sinn, Josh mitzuteilen, dass sie in Corumba war. Nate hoffte, sie bald zu finden und mit ihr über Troys Nachlass zu reden, solange sie sich in der Zivilisation befand.
»Das war ein ziemliches Abenteuer«, sagte Nate. »Milde gesagt.«
»Ich hab vor Sorge um dich nicht schlafen können.«
»Reg dich ab. Unkraut vergeht nicht.«
»Ich hab dir fünftausend Dollar runter telegrafiert. Valdir hat das Geld.«
»Danke, Chef.«
»Ruf mich morgen wieder an.«
Valdir lud ihn zum Abendessen ein, aber er lehnte ab. Er holte sich das Geld und durchstreifte zu Fuß die Straßen von Corumba. Als erstes kleidete er sich ein: Unterwäsche, Safarishorts, einfache weiße T-Shirts; außerdem kaufte er Wanderstiefel. Als er seine Neuerwerbungen vier Nebenstraßen weiter ins Palace Hotel geschleppt hatte, war er so erschöpft, dass er zwei Stunden lang schlief.
Jevy fand nicht die geringste Spur von Rachel. Er suchte mit den Augen die Menschenmenge ab, die sich auf den Straßen drängte. Er sprach mit den Leuten vom Fluss, die er so gut kannte, aber keiner von ihnen hatte sie ankommen sehen. Er steckte den Kopf in alle Hotelhallen der Stadt und schäkerte mit den Frauen am Empfang. Niemand hatte eine alleinreisende etwa vierzigjährige Amerikanerin gesehen.
Je länger sich der Nachmittag hinzog, desto mehr zweifelte Jevy an Nates Geschichte. Das Denguefieber ruft Halluzinationen hervor, man sieht Dinge, hört Stimmen, glaubt an Gespenster, vor allem in der Nacht. Trotzdem suchte er weiter.
Auch Nate streifte umher, nachdem er wieder aufgewacht war und eine weitere Mahlzeit zu sich genommen hatte. Er trug eine Flasche Wasser mit sich, achtete darauf, dass er langsam ging, und hielt sich möglichst im Schatten. Auf dem Felsabsturz über dem Fluss machte er eine Pause und
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